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Wir ausgebrannten

Autor Klute, Hilmar
Verlag Diederichs
ISBN 978 3 424 35081 4

Burnout als „Volkskrankheit“, die keine pathologische Erscheinung ist, sondern ein weit verbreiteter „Egotrip“ insbesondere der auf einem materiell komfortablen Sprungbrett hüpfenden und sich in einer bürgerlichen Welt eingerichtet habenden Wohlsituierten (die sog. Leistungsträger und Prominenten), die das gesellschaftliche Leben „zunehmend als therapeutisch definiert“, flankiert von der medizinischen und psychologischen Expertenschaft sowie von geschäftstüchtigen Mitläufern.

 

Der Essay des Redakteurs der Süddeutschen Zeitung fragt: „Sind wir aufgeklärten Bürger nicht in der Pflicht, für unser Wohlergehen selbst Sorge zu tragen und die reichlich kurze Zeit hienieden mit Würde und Sinn zu füllen und diese Würde sogar selbst zu definieren?“ (S.9f) Die Antwort ist polemisch und zugleich punktgenau. Hilmar Klute wettert – getragen von Beispielen mit exemplarischem und paradigmatischem Charakter – gegen Therapeutisierung und Selbstinfantilisierung, gegen Eitelkeiten und Selbsterhöhungen dank des Etiketts Burnout, gegen das Hinterherlaufen bzw. die Unterwerfung unter „quasireligiöse, bußpredigerhafte Anmaßung der . Sein polemisches und gleichzeitig an Fakten reiches Plädoyer steht im Geiste der Aufklärung (Nutzen des eigenen Verstandes), von Goethes Bildungsbegriff (Persönlichkeitsbildung durch Bewältigung von Hindernissen) und einer Gefühlsleitung, die eher der Tradition des philosophischen reflexiven Gefühls entspricht als der der Affekte.

 

Ein lesenswerter Essay – für Betroffene, die den Mut haben, das eigene Befinden kritisch zu beäugen, und für Therapeuten sowie Berater in der Weiterbildung, die couragiert genug sind, die Therapeutisierung in Frage zu stellen und Ernüchterung walten zu lassen. (Auf Unternehmen bezogen übrigens im gleichen Tenor der ebenfalls kürzlich erschienene Essay: Unternehmen in der Psychofalle von Regina Mahlmann.)

Hanspeter Reiter