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Wessen Erinnerung zählt?

Autor Mark Terkessidis
Verlag HoCa
ISBN 978-3-455-00578-3

„Koloniale Vergangenheit und Rassismus heute“ nimmt der Autor in den Fokus – und holt dafür weit aus, eben: in der Vergangenheit…

Kolonialismus, Imperialismus, Entwicklungshilfe
Themen, die eng verknüpft zu sehen sind. Wie eng, zeigt sich in der aktuellen Situation (Anfang 2020 „in Zeiten wie diesen“ = Corona…): In hiesigen Landen nervig, durchaus gefährlich – und zudem Wachstum kostend. In Ländern „der Dritten Welt“ evt. zu einer Katastrophe führend, in Afrika sicher über Ebola hinaus… All die zugehörigen Hintergründe analysiert Mark Terkessidis, halber Grieche von seiner Herkunft, durchaus auch Osteuropa und den Balkan einbeziehend (siehe Nazi-Zeit und Zweiter Weltkrieg!) – bis in die heutige Zeit wabernd, siehe neu aufgenommene Forderungen Griechenlands nach Ausgleichs-Zahlungen für erlittenes Unrecht… Ja, eine Menge Vergangenes schleppen wir mit uns: „Als das Deutsche Reich am 28. Juni 1919 den Vertrag von Versailles unterzeichnete, gingen die überseeischen Kolonien an die Siegermächte des Ersten Weltkriegs über. Lange vergessen, kehrt die Kolonialperiode in Ländern wie Namibia, Kamerun oder Ruanda in den letzten Jahren in die Erinnerung zurück. Was bedeutet dieses Wiederauftauchen für die Bundesrepublik? Müsste in der »postkolonialen« Sichtweise nicht auch das deutsche Eroberungsstreben in Richtung Osten eine Rolle spielen?“ Sorgsam recherchiert, findet Leser hier viel Bekanntes, dazu eher versteckte Details …

Erinnerung, sei wachsam
Dass Erinnern viel mit Konstruktion zu haben kann (und letztlich vom menschlichen Gehirn stark konstruiert wird), ist bestens bekannt. Und natürlich kann Erinnern für Folge-Generationen häufig nur bedeuten, auf Geschriebenes zurück zu greifen – und das kann natürlich manipuliert und manipulierend sein: Wie gehen wir mit den verschiedenen Perspektiven um, siehe auch Restitution (Artefakte aus Kolonien & Co., ähnlich wie mit jüdischem Eigentum!)? „Die neue Erinnerungskultur hat gravierende Auswirkungen für das Selbstverständnis eines Landes, dessen Bevölkerung immer diverser wird. Der lange Schatten der deutschen »Kulturmission« findet sich heute etwa im Umgang mit der »Schuldenkrise«, mit Migration und Flucht und im alltäglichen Rassismus.“ Ein weites Feld – besser: weite, weite Felder, die da zu bedienen sind..

Lang, lang ist´s her
… und dennoch relevant bis heute: Der Autor beginnt mit Kolumbus, in dessen Bugwellen fast schon auch deutsche Kaufleute unterwegs waren. In vier Kapiteln bietet er Einblick in vergangene Jahrhunderte und in aktuelles Geschehen, eng miteinander verwoben: Auf den Spuren von Kolumbus – Unser Beitrag zur Globalisierung – Die Osterweiterung der Erinnerung – Erinnerung außer Konkurrenz, u.a. „postkolonial, dekolonial, postimperial“ (S. 189ff.) auf gut 200 Seiten. Der Autor weiß, worüber er was schreibt: „Mark Terkessidis, renommierter Migrations- und Rassismusforscher, macht mit seinem Blick in die Vergangenheit aktuelle Debatten nachvollziehbar und zeigt, an welchen Stellen sie in eine neue Richtung gelenkt werden müssen. Zudem macht er sichtbar, welche Fragen sich ergeben, wenn auch die Erinnerung jener zählt, die eingewandert und damit Teil der Gesellschaft geworden sind.“ HPR www.dialogprofi.de www.gabal.de

Hanspeter Reiter