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Wer bin ich, wenn ich online bin…

Autor Nicholas Carr
Verlag sonstige
Seiten 384 Seiten
ISBN 3896674285
Preis 19,95

Hat schon seinen Grund, dass Frank Schirrmacher das Vorwort zu diesem ausgiebigen Band liefert: Ein wenig erinnert das eine oder andere Kapitel durchaus an dessen „Payback“. Und so lautete denn der (doppelte) Untertitel auch „… und was macht mein Gehirn solange? Wie das Internet unser Denken verändert“. Als Folge kommt denn auch – kurz gefasst – dies heraus: „Im Internetzeitaler lesen wir oberflächlicher, lernen wie schlechter, erinnern wir uns schwächer denn je.“ Von Hirnforschern wird für die jüngsten Generation bereits eine deutliche Veränderung hin zum „schnelleren Gehirn“ konstatiert, mit der misslichen Folge, dass es immer schwerer wird, die Aufmerksamkeit der Betroffenen zu gewinnen und zu halten, siehe Dauerablenkungen durch Parallelarbeiten via Blackberry (oder jetzt iPhone). Da braucht es dann tatsächlich „Shock xxx“, wie z.B. der Hirnbiologe Prof. x. Elger das nennt …

 

Und das ist eine Herausforderung: „Wir wissen, dass sich die Grundstruktur des Gehirns während der letzten 40000 Jahre nicht sonderlich verändert hat … Wir wissen aber auch, dass die Art und Weise, wie menschliche Wesen denken und handeln, nicht mehr dieselbe ist wie noch vor einigen Jahrtausenden.“ (S. 86) Unser Gehirn hatte erst relativ kurze Zeit zur Verfügung, sich ans Literale zu gewöhnen und das Gelesene passend zu Erfahrungen zu verarbeiten: „Man stellte fest, dass „die Leser jede in der Erzählung dargestellte Situation geistig simulieren. Einzelheiten zu Handlung und Sinneseindrücken werden im Text aufgegriffen und mit persönlichem Wissen aus vergangenen Erfahrungen vermengt … Vertieftes Lesen ist keinesfalls eine passive Handlung“.“ (S. 123)

 

Das „neue Lesen“ elektronischer Informationen ist eine wieder völlig andere Vorgehensweise, bei der offenbar diese entwickelte Arbeitsweise des Gehirns ignoriert wird: „Eine Seite Online-Text auf einem Computerbildschirm mag einer gedruckten Seite auf den ersten Blick sehr ähnlich sein. Wenn man sich jedoch durch ein Online-Dokument scrollt oder klickt, sind damit physische Handlungen und Sinnesreize verbunden, die sich vom Berühren und Umblättern einer Buch- oder Zeitschriftenseite grundlegend unterscheiden … Der Wechsel vom Papier zum Bildschirm ändert nicht nur unseren Umgang mit dem geschriebenen Wort, sondern hat auch großen Einfluss darauf, wie aufmerksam und intensiv wir uns damit befassen.“ (S. 146) In einem eigenen Kapitel befasst sich der Autor mit dem „Stellenwert des Buches heute“ und der möglichen Entwicklung via E-Book: Buch am Strand oder im Bett; Beziehung des Lesers zum Autor – und natürlich die schon beschriebene Veränderung im Leseverhalten.

 

Alte geistige Funktionen werden geschwächt, weil neue gestärkt werden. Doch ist es wirklich so entscheidend wichtig, mit dem Daumen rasch Nachrichten schreiben zu können ? Letztlich leidet unser Gedächtnis darunter, weil der Arbeitsspeicher durch unmäßige Mengen an Reizen überlastet wird und als Folge davon die Langzeitspeicherung unterbleibt. Carr führt vielerlei Studien an, die er mit nachvollziehbaren Beispielen und Geschichten illustriert – und so auch unser episodisches Gedächtnis anspricht: Musterbeispiel für klassisches Lernen durch Lesen! Recherche im Internet oder in elektronischen Texten (siehe Fragmente bei Google!) lässt uns immer mehr den Blick aufs große Ganze verlernen – Suchende lassen sich den Entscheid von Maschinen abnehmen, was für sie relevant ist.

 

„Ein Ding gleich mir“ beleuchtet den Trend, Sprache maschinell nutzbar zu machen – etwas, was in den 1970-er Jahren zurzeit meines Linguistik-Studiums weit jenseits der Vorstellung lag. Dennoch, semantische Netze in Verbindung mit Computerlinguistik lassen inzwischen Sprache analysieren und letztlich sogar synthetisieren, wenn die Ergebnisse von Übersetzungsprogrammen teils auch noch weit von gesprochener (und sogar teils verständlicher) Sprache entfernt sind. Womit wir natürlich auch Hilfreiches in der Online-Entwicklung sehen können … Leser entscheide, wie kritisch er oder sie diese Entwicklung sehen mag!

Hanspeter Reiter