Unter der Mitternachtssonne
Autor | Keigo Higashino |
Verlag | Tropen |
ISBN | 978-3-608-50348-7 |
„Eine Reise ins Herz des Noir, die nicht vor der menschlichen Seele haltmacht“ zitiert der Buchumschlag den Independent. Und deutet damit an, das manchmal mehr „dahinter steckt“ als es scheint. Auch bei den Bösen …
Zwei Jahrzehnte lang
… am Ball bleiben? Ja: „Ein zwanzig Jahre alter Mord. Eine Verkettung unlösbarer Rätsel. Ein Detektiv, der entschlossen ist, das dunkle Geheimnis zu entschlüsseln.“ Ein Kommissar der Polizei in Osaka nämlich, der unermüdlich dran bleibt, quasi wie ein gewiefter Verkäufer, im Sinne von HHH: „Höfliche Hartnäckigkeit Hilft“. Denn war es wirklich, wie es scheint? „Osaka, 1973: Der Pfandleiher Kirihara wird ermordet in einem verlassenen Gebäude aufgefunden. Der unerschütterliche Detektiv Sasagaki nimmt sich des Falls an, der von nun an sein Leben bestimmt. Schnell findet er heraus: Ryo, der wortkarge Sohn des Opfers, und Yukiho, die hübsche Tochter der Hauptverdächtigen, sind in das Rätsel um den Toten verwickelt. Beinahe zwanzig Jahre lang versucht Sasagaki mit zunehmender Verzweiflung, den Mord aufzuklären, in dessen Netz sich Täter, Opfer und Polizei verfangen haben. Bis über alle Grenzen hinaus, bis hin zur Obsession.“ Scheinbar steckte ein Liebhaber der Mutter hinter einem Fall – hinter einem weiteren evt. ebenfalls ein solcher.
20 Jahre Japan
… in gesellschaftlicher Entwicklung erlebt Leser mit, Veränderungen vor allem wirtschaftlicher Art: Der erste Schwung der Digitalisierung, von der Lochkarte her kommend, via Kassette hin zur Floppy Disk, Computerspiele inklusive. Immer wieder poppt die Vorliebe vor allem Jugendlicher für Manga auf, etwa S. 36, 116 oder 254 von gesamt über 700: Eine weite Lesestrecke, über die der Autor seine Leser mitreißt. Spannend, mit vielerlei einzelnen Strängen, die nach und nach zusammen laufen. Übrigens mit einem Lesezeichen, das die wichtigsten Personen aufführt mit Kurz-Biografie. Sehr hilfreich für unsereinen, da naturgemäß die japanischen Namen beibehalten sind. Der häufig zitierte schulische Druck auf Kinder und Jugendliche wird immer wieder angesprochen, Schulsysteme inklusive (siehe S. 178f.), spezielle EDV-Herausforderungen infolge des japanischen Schriftsystems kommt ins Spiel (S. 264f. – zu Computerspielen kommt Textverarbeitung: es geht um Raubkopien), Künstliche Intelligenz ist schon in den 1980-er Jahren ein Thema (S. 376.) – und geraucht wird „wie ein Schlot“. Interessant der Tipp einer Apothekerin, möglichst nur nach dem Essen zu rauchen statt auf nüchternen Magen (S. 533f.)… Trends poppen immer wieder neu auf, so der zu Kirschkuchen unter jungen Leuten (S. 611): Es tut sich viel innerhalb dieses langen Zeitraums. Doch vieles bleibt gleich, denke an die klare Hierarchie in Japan, gespeist durch Alter einerseits wie auch durch verwandtschaftliche Abhängigkeiten … Dieser Thriller ist weit mehr als das: ein Zeit-Dokument, geschrieben übrigens 1999. Und macht bestimmt Appetit auf mehr: Zwei weitere Titel des Autors sind auf Deutsch erschienen. HPR