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Too big to know

Autor David Weinberger
Verlag Huber (Bern)
ISBN 978-3-456-85235-5

„das Wissen neu denken, denn Fakten sind keine Fakten mehr, die Experten sitzen überall, und die schlaueste Person im Raum ist der Raum“, so ergänzt die Titelseite den Buchtitel. Flotte Sprüche, eingängig und leicht merkbar – somit auch prima zu rezitieren? Immerhin bietet die Wirtschaftswoche dem bekannten Autor („Das Cluetrain Manifest“ 2001 war sein erster Bestseller) Raum für ein ausgiebiges Interview (08.04.2013), mit u.a. der Aussage „Die Anarchie des Wissens können wir jetzt schon beobachten“, „denn früher haben wir Wissen für ein knappes Gut gehalten, doch in Wirklichkeit waren nur unsere Regale zu kurz“ (U4). So nimmt uns Weinberger mit auf eine Reise durch Wissen und (oder ohne?)Wahrheit: Von „Das Wissen in der Krise“ hin zu „Die neue Infrastruktur des Wissens“. Mit diesen Zwischenstationen: Die Wissensflut, Ein Fass ohne Boden, Der Kanon, Das Wissen der Wolke, Ein Jahrmarkt der Eitelkeiten? Buchform, Netzform, Zu viel Wissenschaft, Wenn´s Spitz auf Knopf geht. Er weist (S. 28ff.) auf „Die neuen Institutionen des Wissens“ hin, die immerhin mehr zeigen als uns bisher bewusst war: Nämlich auch die gefilterten Anforderungen etwa in Bibliotheken, die zu niedrig waren, zu Anschaffungen zu führen: Bisher hatte man dort nur erkennen können, was offenbar genügend nachgefragt war! Entscheidende Aspekte und somit Herausforderungen sind: Breite – Grenzenlosigkeit – Neue Formen der Beteiligung – Neue Formen der Legitimierung – Unabgeschlossenheit. Und es gilt: „Das Internet ist nicht mehr in der Lage, einen Kanon zu schaffen: Es gibt keine Herausgeber und Kuratoren mehr, die darüber entscheiden, was Aufnahme findet und was nicht. Es gibt keine allgemein anerkannten Grenzen, die uns erkennen lassen, wo die Ungewissheit endet und das echte Wissen beginnt.“ (S. 63) Andererseite: „Das traditionelle Wissen war ein vom Papier diktiertes Zufallsprodukt“, womit ebenfalls die (vor allem Print basierten) Medien angesprochen sind, die heute ihre Rolle (als Kurator, Scout oder – darin sehe ich noch Zukunft! – Kläranlage) kaum mehr auszuführen vermögen! Woher kam in der Vergangenheit die Sicherheit im Umgang mit Wissen, sei sie nun scheinbar oder wahr gewesen? „Expertenwissen war themenspezifisch“ – „Der Wert des E. lag in der Sicherheit, die es bot“ – „E. war oft undurchsichtig“ – „E. war eine Einbahnstraße“ – „Experten waren eine eigene Kaste“ – „E. sprachen mit einer Stimme“ (S. 87ff.). Und nun – jedermann und jederfrau ist selbst ernannt Experte? Wie wir mit Wissen aus dem Internet umgehen und welche Wirkung es auf uns hat, betrachtet der Autor auch mit den Worten eines Kollegen, Nicholas Carr: „Das Internet bewirke eine physische Veränderung unseres Gehirns … und „mindert unsere Fähigkeit zur Tiefenverarbeitung,w ie sie bewusster Wissenserwerb, induktive Analyse, kritisches Denken, Fantasie und Nachdenken voraussetzen“. Wenn das so ist, hat das unmittelbare Auswirkung darauf, wie Sie als Trainer, Berater, Coach mit ihren Teilnehmern / Gesprächspartnern umzugehen haben! Und welche Kompetenzen Sie künftig mit nachwachsenden Generationen zu entwickeln haben … Blogging widmet Weinberger ein ausführliches Kapitel (Buchform, Netzform), mit Vor- und Nachteilen dieser Darstellungs- und Publikationsform, siehe etwa die integrierte Kommentarfunktion (u.a. S. 131ff.): Geht hier Individualität eines Autors (Journalisten …) eher verloren, zu Gunsten jener von Lesern, die aktiv eingreifen? Interaktion = Individualität für viele? Ist das verkürzte Format von Weiterbildungs-Einheiten auch eine Folge davon, dass wir alle immer mehr von der Langform in der Wissens-Vermittlung (siehe „Buch“!) verkürzte Formen gewohnt sind (oder: werden)? „Wenn wir Wissen nur als Inhalt begreifen, unabhängig vom neuen, vernetzten Kontext der Gespräche, Debatten, Klärungen und Verunglimpfungen, dann unterschlagen wir die wichtigste Veränderung, die das Wissen im Augenblick durchläuft.“ (S. 142) Und die Form wird inzwischen sogar in anderen Medien (als dem Internet mit Social Media [&] Co.) stärker nachgefragt, siehe den Erfolg des (ursprünglich ausschließlich online erscheinenden) Debatten-Medium The European nun auch als (4x p.a. erscheinendes) Print-Magazin! Ergo auch für Trainer … die Empfehlung „das eine tun ohne das andere zu lassen“ – siehe Blended-Formate, die eben zum Präsenz-Seminar auch eLearning-Elemente beinhalten, mindestens vor- und nachbereitend?! U.a. S. 196f. geht Weinberger auch der Frage nach, welche Konsequenzen der neue Umgang mit Wissen für Führungsaufgaben (und Führungskräfte) hat / haben könne. Seine fünf abschließenden Empfehlungen (S. 209ff.) sind diese: 1. Machen wir das Wissen allgemein zugänglich – 2. … auffindbar – 3. Verknüpfen wir das vorhandene Wissen – 4. Nutzen wir das Wissen der Institutionen – 5. Lernen wir den Umgang mit dem neuen Wissen. Viel Diskussions-Stoff – und eine Menge Entwicklungs-Chancen, sei es zu PW oder ZF – Persönliches Wachstum und Zukunftsfähigkeit! Sehr empfehlenswert …

Hanspeter Reiter