Systemisch Führen
Autor | Orthey, Frank Michael |
Verlag | Schäffer Poeschel, Stuttgart 2013 |
ISBN | 978 3 7910 3277 1 |
Der Autor hat sich viel vorgenommen; denn er möchte mit seinem Buch einen Unterschied machen, der einen Unterschied macht. Das heißt: Er stellt heraus, worin die USP dieses Buches, dessen Titel auf Bekanntes verweist, im Unterschied zur vorhandenen Führungsliteratur bestehen sollen.
Da ist, erstens, das Einblenden der „Doppelbödigkeit“ bezüglich Führung: einerseits sei sie nötig, andererseits werde sie mit dem Verdacht des Misslingens belegt. Da ist, zweitens, das differenztheoretische Konzept des Unterschieds (George Spencer Brown, Niklas Luhmann, weidlich ausgeführt durch den Interpreten und Anwender dieser soziologischen Systemtheorie, Fritz B. Simon) bzw. das „Konzept zirkulären Denkens“ (S. 2). Soweit, möchte man kommentieren, so häufig gelesen und bekannt.
Da ist, drittens, der Anspruch, analog der Logik des Re-Entry (Wiedereinführung einer Unterscheidung in ein System und damit in eine Unterscheidung) die systemtheoretische Betrachtung auf ein Fünfeck zulaufen zu lassen und damit eine „pentagrammatische Führung“ zu begründen; dieses Fünfeck an Subsystemen, Komponenten bzw. „Dimensionen“ (die vertrauten fünf: Person, Beziehung, Aufgabe, Organisation, Kultur, Umwelt) in vielfältigen Wechselwirkungen und wechselseitigen Beeinflussungen und nach Schwerpunkt des Erkenntnisinteresses zu zeigen. Auch dies weitgehend bekannt. Der vierte Anspruch, „das Fünfeck in fünf Positionen quer zu bürsten“, mündet in Denk-, vielleicht Verhaltensexperimenten wie diesem: Führung und Führungskräfteüber ihre eigene Ver-rücktheit und deren „Ressourcen“ nachdenken zu lassen; diese Verspieltheit ist nett, intellektuell zuweilen anregend, indes ebenfalls nicht eben neu und für Praktiker – nun – im vollgeladenen Alltag eher schwierig zu praktizieren.
Nun, die Grundlegung (siehe Titel) fällt prägnant aus: Flüssig zu lesen, unter Rekurs auf relevante (wenn auch eher selten genannte) Quellen und insofern eher für Leser verständlich, die sich mit der soziologischen, funktionalen oder differenztheoretischen Systemtheorie näher beschäftigt haben. Es folgen mehr oder minder grundsätzliche Fragen nach Notwendigkeit, Möglichkeit und Unmöglichkeit von Führung, von Erwartungen an und Leistungsoptionen von Führung; all dies eher mehr als weniger an systemtheoretischen Formeln balanciert. Und bereits hin den Anfangskapiteln wird deutlich, was zu Beginn amüsiert, dann indes als etwas bemüht empfunden werden kann: das Wiederholen von scheinbar paradoxalen, philosophisch, künstlerisch anmutenden Formulierungen, wie sie für Theoretiker (zuweilen auch Praktiker) typisch sind, die der Luhmannschen oder Brownschen Formulierungskunst folgen (z.B. 189f).
Wer sich auf eine theoretische Lektüre einstimmt, erwacht. Das Erwachen speist sich u.a. aus dem Umstand, dass die im Vorwort angekündigte Perspektive der Anwendung zunehmend Gewicht und dann Übergewicht erhält.
Das geht notwendig auf Kosten von Theorie. So auch hier – und zwar in der Weise, dass das systemtheoretische Paradigma funktionaler oder differenztheoretischer Prägung verlassen wird –zu Gunsten psychologisierenden und moralisierenden Redens, etwa über die Ganzheit des Menschen, die – individuell – zu berücksichtigen sei.
Das Übergewicht fällt damit zu Gunsten von Methoden und Werkzeugen aus, die das Gelingen von Führung wahrscheinlich(er) machen soll (als es ohne sie ist). Hier werden sich all jene Leser freuen, deren Primärmotivation, Fachlektüre zu konsultieren, in der Antwort auf die Frage besteht: „Und was mache ich jetzt damit?“ Oder: „Wie soll ich das anwenden?“ Ihnen bietet der Autor ausführlich Einsatz-, Anwendungsoptionen an; ausführlich auch im Sinne von: strukturiert, systematisch samt Fragen, Motiven, Antworten. Damit findet sich der Autor durchaus in heiterer Gesellschaft des Mainstreams – was nur deshalb erwähnt sei, weil er sich expressis verbis sehr viel Mühe gibt, den Unterschied dazu hervorzuheben (was in den Anfangskapitel gedanklich und rhetorisch durchaus gelingt wie auch in den Schlusskapiteln, in denen er einige didaktisch ernst gemeinte witzige /ungewöhnliche Aufforderungen an Führungspersonen adressiert).
Zur Lektüre empfohlen? Durchaus; denn das Niveau der Mehrheit an Führungs“rat“gebern übersteigen die Ausführungen dieses Buches in jedem Fall: gedanklich in einigen bedeutsamen Fragen, in der Entkleidung von Vorurteilen, im Benennens impliziter Erwartungen und Gedanken, im Definieren von Widersinnigkeiten – die allesamt handlungswirksam werden, sowohl für Führungspersonen als auch Mitarbeitende; und auch rhetorisch, denn der Autor findet offenkundig Freude daran, im Einklang mit differenztheoretischen Paradoxa, Dilemmata, Tetralemmata (v. Kibed/ I Sparrer) und zudem möglichst wenig gewöhnlich zu formulieren. Tja, und auch Praktiker werden fündig.