Stoner
Autor | John Williams |
Verlag | dtv |
ISBN | 978-3-423-28015-0 |
Nach vierzig Jahren wieder entdeckt und nun auch ins Deutsche übersetzt: Ein Werk, das vielleicht Schlüssel-Roman genannt werden könnte, sicher auch zum Genre des Entwicklungs-Romans zu zählen ist. Der Träger des durchaus bezeichnenden Namens schafft es aus kleinsten Verhältnissen (Sohn eines armen Farmen-Ehepaares) zum Literatur-Professor. Er versucht, sein Leben zu leben, ihm Sinn zu geben. Den gewinnt er („es“ – das Leben) im Aufziehen der Tochter, solange seine sich zurück ziehende Ehefrau das zulässt. Ein spätes Glück findet er in der Liebe zu einer Studentin: „Diese Leidenschaft war weder eine des Verstandes noch des Fleisches, sondern vielmehr eine Kraft, die beides umschloss.“ Doch auch hier ist für ihn keine Erfüllung zu finden: Die Ehefrau forciert zunächst die Beziehung, spielt sie dann aber gegen ihn aus – und erzwingt so deren Ende. Stoner ist wieder so, wie er anfangs war: versteinert, in einem, so scheint es, genügsamen Leben … Eine starke Sprache dieses Autors, bestens übersetzt ins Deutsche, fesselt den Leser, auch jenseits durchaus starker inhaltlicher Spannung. Seine eigene wissenschaftliche Expertise lässt der Autor durchaus auf- und durchblitzen, etwa S. 170: „… fuhr Stoner fort: Wir dürfen nicht vergessen, dass das mittelalterliche Verständnis von Grammatik noch allgemeiner als das im späten Griechenland oder in Rom war. Manmeinte damit nicht nur die Wissenschaft der korrekten Rede und die Kunst der Textauslegung, sondern auch das, was wir heute unter Analogie verstehen, Etymologie, Methoden der Präsentation sowie der Konstruktion und Kondition poetischer Freizügigkeit und deren entsprechende Ausnahmen – sie beinhaltete selbst Metaphorik und Redewendungen.“ Ein Zeichen dafür, wie sehr er in seiner Arbeit aufgeht – doch dies ist ein Prozess, verbunden mit einem Auf und Ab: Nüchternes Abarbeiten versus Leidenschaft. Häufig fühlt sich Leser an heutige Zeiten „erinnert“, rund um Gallup-Studien über Mitarbeiter-Zufriedenheit und Führungskräfte-Fehlverhalten – oder zu Glücksstudien und Burnout-Diskussionen. Das Buch ist zudem voll von Metaphern, prallen doch Welten aufeinander, etwa jener von Stoner und der seiner Frau. Oder im Krieg USA und Europa, hier tatsächlich von mir metaphorisch verstanden. So auch das Thema Korruption, für den geradlinigen Charakter eines Stoner völlig aus der Welt – so wie „Politik“ an der Universität überhaupt ihn null interessiert, wie auch Karriere: Korrupt erweist sich ein Kollege, der später sein Chef wird, stark behindert, indem er einen behinderten Student protegiert, weit jenseits dessen Können. Seine – in dem Fall – Sturheit fällt Stoner „auf die Füße“, bis er eher zufällig darauf stößt, wie er sich gegen die unfaire Behandlung wehren kann: „Wie zu Beginn des Seminars gesagt, gehört es zu den Absichten dieses Kurses, bestimmte literarische Werke aus der Zeit zwischen dem 12. und dem 15. Jahrhundert genauer zu analysieren …“ (S. 281), wobei man wissen muss: Dies ist ein Grundkurs, anderes enthält sein Lehrplan nämlich nicht mehr. Doch via dieser Überforderung der neuen Studierenden – Stoner darf Inhalte durchaus selbst definieren – schafft er es, wieder seine alten Oberseminare etc. zu erhalten … Alles in allem ist dies ein Gesellschaftsbild der USA von Anfang des 20. Jahrhunderts bis weit über den Zweiten Erdkrieg hinaus, ausgebreitet anhand der Biografie eines Aufsteigers – der sich am Ende seines Lebens schließlich fragt, wie erfüllt sein Leben war … HPR