Sprachliche Muster: Eine induktive korpuslinguistische Analyse wissenschaftlicher Texte
Autor | Sarah Brommer |
Verlag | deGruyter |
ISBN | 978-3110573657 |
Die Dissertation von Sarah Brommer wendet sich an ein akademisches bzw. sprachwissenschaftlich vorgebildetes Publikum. Doch auch all jene, deren Hauptarbeitsmedium die Sprache ist, etwa Berater, Trainer, Sachbuchautoren, profitieren von den Ausführungen, auch wenn sie nur den roten Faden der Erläuterungen und Schlussfolgerungen nachvollziehen können. Denn es geht um das Erkennen von Mustern in gesprochener und geschriebener Sprache.
Untersucht werden Korpus
Mit ihrer empirischen, induktiven, statistischen Untersuchung stellt sich die Autorin in einen dank Computer und KI neueren Forschungszweig. Dem empirischen Teil liegen medizinische und sprachwissenschaftliche Texte zugrunde. In ihnen werden sprachliche Muster nachgewiesen, die insofern typisch für wissenschaftliche Texte sind, als sie anhand der Muster als solche erkennbar werden. Dies gilt für wissenschaftliche Texte, die für Peers verfasst sind sowie für jene, die sich an Laien wenden, sei es im Vortrag oder in einer Publikation etwa in populärwissenschaftlichen Medien. Der Sprachgebrauch bzw. die Veränderung von Mustern im nicht fach-wissenschaftlichen Bereich verdient eine vertiefte Erforschung, nicht zuletzt deshalb, weil sich Sachtexte und –vorträge zunehmend wissenschaftlich anmutender Sprachmuster bedienen. Das gilt vor allem für Muster, die Kausalität herstellen oder eine autoritative Stützung aus der Wissenschaft insinuieren möchten. Die Nützlichkeit ihres Beitrags sieht Sarah Brommer vorzugsweise darin, auf den Feldern Spracherwerb und –didaktik sowie Textbeurteilung verwendbar zu sein.
Sprachmuster
Neben linguistisch interner Verortung, differenzierter Ausführung der wissenschaftstheoretischen Einbettung und Definition genuin wissenschaftlicher Texte im Kapitel „Untersuchungsgegenstand „Wissenschaftssprache“, führt Sarah Brommer aus, welche Indizien gelten, um von „Musterhaftigkeit“ (sie kommt jedem, auch nicht-sprachlichen Kommunikat zu) und einem sprachlichen Muster sprechen zu können (Rekurrenz, Signifikanz, Typizität), einschließlich Formen der Varianz. Gewinnend zu lesen sind in diesem Kapitel die Theorien, die sich der Mustergenese, dem Mustergebrauch, dem Musterwissen (bewusst, unbewusst) und der Mustererkennung widmen. Ähnlich wie im Kapitel zum Begriff der Norm und speziell der sprachlichen Norm können Leser die zugrunde liegende Logik des Gedankens auf andere Bereiche übertragen und nicht zuletzt das eigene Sprechen (schriftlich, mündlich) und die Referenz eigenen Sprechen sowie die Grundlage für die Beurteilung sprachlicher Leistung reflektieren.
Texte aus der Praxis
Für ihre korpuslinguistische Analyse nutzt die Autorin den pragmatischen Ansatz, der „Muster (verortet) als Sprachgebrauchsmuster an der sprachlichen Oberfläche“ (65), also an Sprachverwendung. Es um Schlüsselworte (keywords) und Wortverbindungen, die als „n-Gramme“ bezeichnet werden, da sie beliebig lang, also wortreich ausfallen können, sowie um morphosyntaktische Muster (die Wechselwirkung zwischen Satz und Wortstruktur). Ein Textbeispiel gegen Schluss der Dissertation veranschaulicht, wie Muster identifiziert werden (S. 334ff). Das sechste Kapitel „Auswertung“ verdeutlicht en detail, welche Früchte die korpuslinguistische Untersuchung der Autorin erbracht haben, indem konkrete Muster benannt werden. Übrigens wird der Leser bereits im Verlauf seiner Lektüre zahlreiche Sprachmuster im Text erkennen – womit die Feedbackschleife geschlossen scheint: Es handelt sich um einen wissenschaftlichen Text.
Sprachnormen
Das siebente Kapitel widmet sich der höchst interessant zu lesenden Einbettung der Ergebnisse in die Sprachnormenfoschung. Selbst für reine Sprachanwender, die sich um Theorie wenig oder gar nicht scheren, ist die Frage nach der Norm relevant; denn implizit orientiert sich jeder Sprachverwender an Normen, und auch Mustererkennung setzt eine Normannahme voraus. Vereinfacht gesprochen, lautet eine Frage, ob sie dem Sprachgebrauch entnommen sind, sozusagen deskriptive Destillate: „man sagt das so“, „bei uns gilt und deshalb….“ – oder ob es um eine abstrakte Norm des idealen Sprechers geht. Diese Norm wirkt als regulatives Prinzip, als Leitstern, als Maßstab, deskriptiv und als Referenz für Indizien und Beurteilung korrekten und guten Sprachgebrauchs. Dies signalisieren insbesondere in diesem Kontext diskutierte Begriffe wie Erwartbarkeit, Verpflichtung (sgrad) unter dem Vorzeichen von Regelmäßigkeit. Nicht zuletzt kommt es darauf an, sprachliche Verständigung auf Dauer zu stellen.
Didaktische Konsequenzen
Die Frage nach der Vorbildhaftigkeit und sowie Überlegungen zu Folgen für die Didaktik sei das kognitive Momentum hervorgehoben: Denken und Sprachgebrauch sind eng verwoben, das eine gilt als Bedingung für das andere, sichtbar an Lernprozessen und Lernergebnissen, etwa darin, kategoriale Unterscheidungen denken und sprachlich ausdrücken zu können. Die Frage ist, inwiefern der Gebrauch wissenschaftlicher Sprachmuster notwendig einhergeht mit der ihm unterstellten Denkleistung oder aber nur als Phrase genutzt wird, um deren Funktion man weiß, etwa die Funktion, eine logische Herleitung nahezulegen. Induktive korpuslinguistische Forschung und Anwendung wird gegenwärtig auf viele Textsorten bezogen und liefert im Verbund mit KI (Künstliche Intelligenz) und EI (Emotional Computing) ein weites Forschungsfeld, das zu beackern sich aus verschiedenen Gründen lohnt.