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Sprachen der Wahrheit

Autor Salman Rushdie
Verlag C. Bertelsmann
ISBN 978-3-570-10408-8

„Sprachen der Wahrheit“ vereint verschiedene Bezüge, die der international bekannte, mehrfach mit bedeutenden Preisen ausgezeichnete Literat und Essayist Salman Rushdie herstellt. Die, zum Teil bis dato unveröffentlichten, Texte sind erstmals versammelt und markieren ein Panorama an Betrachtungen des Autors, die verschiedenste Bezüge haben, die ihrerseits wurzeln in persönlichen Erlebnissen, Begegnungen und Perspektiven auf politisches, gesellschaftliches, kulturelles Geschehen. Als Ausgangsorte dienen Salman Rushdie insbesondere eigene Erlebniswelten (u.a. Kindheit, Begegnungen und Erfahrungen in spezifischen jeweils sozio-kulturellen und nationalen Umfeldern, Mitgliedschaft und Aktivitäten bei PEN, Beziehungen zu Autoren, Intellektuellen, Politikern), Bücher bzw. Werke anderer Autoren, aus vergangenen Zeiten ebenso wie aus der Gegenwart, Anfragen für Reden, Stellungnahmen, Essays.

In den Texten kann der Leser zudem verfolgen, durch welche Ereignisse und dank welcher Verarbeitungsmodi, die Erlebnisse zu Erkenntnissen machen, die wiederum in Handeln einfließen, durch welche Inspirationen dank Lektüre von traditionalen und modernen Klassikern, und dank welcher Begegnungen der Leser Salman Rushdie zum Schriftsteller wurde – und zwar zu einem politisch-poetischen. Damit verwoben ist die Direktheit und Klarheit, mit der er eigene Meinungen, Schlussfolgerungen, Urteile, Empfehlungen und Appelle formuliert, meist als Anknüpfung an Erfahrenes. Dies ist konsequent, geht es doch um „Sprachen der Wahrheit“, für deren Vielfalt in Form und Inhalt Salman Rushdie vehement, mit Scharfsinn, Ironie und Humor, zuweilen amüsant polemisch, eintritt.

Eine Sprache der Wahrheit findet der Autor in Fiktionalem und erweitert die Betrachtung um die Frage nach der Relation (Korrelation) literarischer Fiktion und Realität. Anhand unterschiedlicher Fiktionen wie Märchen, Sagen, Mythen aus diversen Kulturen führt Salman Rushdie im ersten Teil höchst lesenswert aus, verbirgt sich Wahres. Fiktionen bzw. die Erdachtheit (Fiktionalität) von Fiktionen bieten verschiedene Optionen (sprachliche, erzählerische Kleider), Wahres an- und auszusprechen. Fiktionales ermöglicht somit, Wahres zu erkennen, Reales zu beschreiben, Realität zu gestalten. Das Plädoyer für Fiktionalität ist eine Absage unter anderem an die Gattung des realistischen Romans. „Ich bin sehr dafür, sich weiterhin Dinge auszudenken. Nur wenn wir der Fiktionalität der Fiktion freien Lauf lassen, der Vorstellungskraft der Fantasie….können wir darauf hoffen, uns dem Neuen anzunähern und eine Fiktion zu schaffen, die – noch einmal – interessanter sein mag als Fakten.“ (S. 36)

Ein weiterer Bezug gilt der literarischen Produktion und Schriftstellern: Anhand diverser Geschehnisse und Textbeispielen erläutert Salman Rushdie, inwiefern Schriftsteller der Gefahr ausgesetzt sind, die berühmte Schere im Kopf zu betätigen, um Zensureingriffe und persönliche Nachteile zu umgehen. Das, so der Tenor, beschränkt nicht nur kreatives Schaffen, sondern be- oder verhindert, literarisch Wertvolles und Wahres zu erschaffen. „Der schöpferische Akt erfordert nicht nur Freiheit, sondern auch die Annahme dieser Freiheit….. Wenn wir kein Vertrauen in unsere Freiheit haben, dann sind wir nicht frei. Und schlimmer noch, wenn die Zensur sich in die Kunst drängt, dann wird sie zum Thema; die Kunst wird „zensierte Kunst““ – weiß der Autor nicht zuletzt aus eigener Erfahrung. Zensur, Tabuisierungen, Vermeidungen bezieht er sowohl auf politisch-offizielle Einflussnahmen und deren Vorwegnahme im literarischen Prozess als auch auf soziale, sozio-kulturelle Moden im Umkreis von Cancel Culture und so genannter Political Correctness. Dem zum Trotz glaubt er an die Option eines Chors verschiedenster, heterogener Kulturen.

All dies und weitere Teilaspekte seines leidenschaftlichen Plädoyers für freies Schreiben, für die Möglichkeiten, die rein Fiktionales sowie das Verweben von Fiktionalem mit Realem eröffnen, selbst die Essays, etwa zu PEN, zu politischen Ereignissen, zu Spezifika nationaler Kulturen und Traditionen, zeigen – verschiedene – „Sprachen der Wahrheit“, immer wieder exemplifiziert an unterschiedlichsten literarischen Quellen, so dass der Leser nebenbei einen Einblick nicht nur in Salmans Rushdies literarischen Prägungen und Urteilen gewinnt, sondern selbst noch literarische Entdeckungen machen kann (einschließlich der Kommentierung durch den Autor).

Regina Mahlmann