Sigrid Odegards Reise nach Amerika
Autor | Derek B. Miller |
Verlag | Rowohlt Polaris |
ISBN | 978-3-499-27428-2 |
„Ein seltsamer Ort“ meint die Protagonistin mehrfach – und zitiert damit des Autors Vorläufer-Roman „Ein seltsamer Ort zu sterben“ Wäre es auch hier – allerdings in mehrfacher Perspektive…
Eine Geschichte rund um Ermittler
… nämlich eine in Norwegen – und einen in den USA, die hier zusammen zu ermitteln haben: „Sie hat einen Menschen erschossen. Im Dienst und aus Notwehr, das hat sie schwarz auf weiß. Doch Chefinspektorin Sigrid Ødegård kommt über den Vorfall nicht hinweg. Denn in Norwegen schießt die Polizei nun mal keine Leute tot. Oslo ist nicht Amerika.“ Dort nämlich hat „schwarz auf weiß“ noch eine weitere Bedeutung: Rassismus nämlich. Doch zunächst scheint alles oberflächlich zu bleiben: „In Amerika sehen Polizisten anders aus. Manche, wie Sheriff Irv Wylie, tragen sogar Cowboyhut und Stiefel. Irv ist auf der Suche nach einem Mann, der seine Freundin umgebracht haben soll. Ein Europäer. Aus Norwegen. Und plötzlich hat Irv die Schwester des Flüchtigen am Hals. Will die Inspektorin aus Oslo Amtshilfe leisten? Oder Fluchthilfe?“ Nun, vor allem will sie ihren Bruder davor bewahren, erschossen zu werden, auf der Flucht…
Inter- wie intrakulturell erleuchtend
… wird die Story durch die vom Autor geschickt initiierte Diskussion rassistisch beeinflussten Vorgehens von US-Polizisten, bedauerlicher Weise ein allzu aktuelles Thema dort. Plus Gender-Themen, dies wie jenes durch Zahlen untermauert. Denn Sigrid ist auch Wissenschaftlerin, sie betreibt ihren Job in der Praxis theoretisch bestens untermauert. Und trifft auf einen Philosophen in Cowboy-Stiefeln, der vor seiner Zeit als Sheriff studiert hat – Theologie. So liest Leser auch Bibel-Zitate, Kierkegaard und andere Philosophen (Pierce S. 178f. – oder die Diskussion über die in den USA so sehr betonte Freiheit S. 219ff., plus Individualismus S. 265f.) kommen ins Spiel – und die tote Geliebte ihres Bruders war Soziologie-Professorin, schwarz.
Auch eine Familien-Geschichte…
Diese „Melange en noir“ wird erweitert dadurch, dass die Mutter von Sigrid und Marcus vor 35 Jahren an Krebs gestorben ist, was zur Distanz zwischen Vater und Sohn geführt hat: Kann Sigrid die Familie wieder zusammen führen, auf ihrem Ausflug nach Amerika, wohin der Bruder schon vor 20 Jahren entfleucht ist? Welche eine Gemengelage, ironisch erzählt, scheinbar actionorientiert und doch so behutsam im Tenor. Mit feinen Formulierungen – ein Beispiel mag genügen (S. 55): „Zehn Minuten später kommt die Fahrerin und wirkt zwanzig Minuten älter. Wie ein furzender alter Mann erwacht der Bus zum Leben, und die pneumatischen Türen saugen die Passagiere ein; wie ein riesiger Staubsauger reinigt der Bus das Gate von allen menschlichen spuren außer dem hartnäckigen Geruch“. Voila, da spielt einer mit der Sprache – und der Übersetzer hat treffend mitgespielt! Auch eine Quelle für Beispiele des Aufeinandertreffens von Kulturen, die scheinbar recht ähnlich sind.