Selber schuld!
Autor | Raphael M. Bonelli |
Verlag | Pattloch |
ISBN | 978-3-629-13028-0 |
„Ein Wegweiser aus seelischen Sackgassen“, so der Untertitel, wird gerade Trainer, Berater und Coaches interessieren, in bestimmten Situationen von „Weiterbildung“ empathisch auf den/die Gesprächspartner einzugehen. Oder auch sich selbst „an die Nase zu fassen“, in mancherlei kritischen Momenten ;-) … Denn hierum geht es: Den eigenen Beitrag am / zum jeweiligen Geschehen anzunehmen, erst einmal: wahrzunehmen, zu akzeptieren. Statt „die Schuld“ bei anderen zu suchen, sich selbst zu exkulpieren. Weg also vom Verdrängen, Übertragen und Wegschieben … „Von der Freiheit des Menschen und seinem Umgang mit Schuld“ wie auch „Gewidmet allen Gescheiterten – auf dass ihr Scheitern Frucht bringe“ leiten Leser gleich zu Anfang in den eigentlichen Text hinein. Vor der Einführung „Die Unschuld auf der Couch“ kommen Experten zu Wort, die Autor wie Buch wärmstens empfehlen – ungewöhnlich, doch wohl als Verstärker gedacht, auf dass Leser manch schmerzliche Erkenntnis eher nachvollziehbar erlebe (er-lese) … Drei Teile sind geboten: Die Schuld als Problem – Wie der Mensch gestrickt ist – Die Lösung“, ergo: Lösungs-orientiert, hoffentlich Verhalten ändern zu helfen! Durch die einzelnen Kapitel begleiten uns Personen der Literatur, die quasi mit analysiert werden, besser: deren Verhalten durchschaubarer gemacht wird (Faust, Ebenezer Scrooge, Moor, Gregorius, Richard York, Michael Kohlhaas, Anton Hofmiller, Raskolnikow und Jean Valjean – Sie erinnern: Der Graf von Monte Christo: Manche dieser Figuren habe ich aufgrund von Bonelli´s Darstellung nun mit anderen Augen betrachtet als zurzeit der damaligen Lektüre, häufig: in der Schule …). Die Themen in Diskussion und Empfehlung: Warum es so schmerzhaft ist, Mist zu bauen. Zwölf Ursachen von Makellosigkeit. Einer muss ja schuld sein: Opferkult und Fremdbeschuldigung (quasi das Kernthema!). Wofür wir nichts können. Die Neurobiologie der Freiheit (u.a.: Wie frei ist der Mensch?). Verbitterung oder Vergebung. Die Macht der Bauchgefühle. Das Schuldbekenntnis (u.a. Beichten tut der Psyche gut). Die Wende des Herzens (u.a. Selbsterkenntnis ist der beste Weg zur inneren Freiheit). Nun sind Sie gefragt: Welches Kapitel gehört zu welcher literarischen Figur als Verhaltens-Vorlage? Tipp gefällig? Hmm, die Reihenfolge ist rein zufällig die gleiche … Innerhalb der Kapitel gibt es konkrete Fälle aus der Arbeit des Autors oder jener von Kollegen, anonymisiert natürlich – mit Ausnahme einiger publizierter Fälle. Abschließend einige ausgewählte Aussagen, dort sind in meinem Exemplar nun Eselsohren (weil naturgemäß dort mehr aufzufinden ist als nur dieses jeweilige Satz): „Die Psychotherapie tut sich mit der Schuldfrage schwer.“ (S. 23) „Der Perfektionist sucht meist die Bestätigung, dass er ohnehin alles richtig macht.“ (S. 78) „Selbstbetrug ist, wenn Menschen das, was sie schlecht machen, „gut“ nennen: Man macht aus einem Defekt eine Tugend.“ (S. 96) „… Mobbing … als Totschlagargument … Als eine Form der Fremdbeschuldigung, die ganz rasch viel Mitgefühl und Mitleid hervorruft …“ (S. 130) Bereits „1964 wurde … das sogenannte Bereitschaftspotenzial im Gehirn entdeckt“ (S. 140), also weit vor dem Hype der Neurowissenschaften, der vor etwa 15 – 20 Jahren begonnen hat – es geht darum, ob wir willentlich uns selbst lenken oder etwas in uns sozusagen vor-denkt, mit Auswirkungen bis zu strafrechtlichen Diskussionen … Moderne Versionen diverser Verhaltens- und Charakter-Modelle, wie sie seit der Antike (4-er aus den Körpersäften – oder auch Wasser/Erde/Feuer/Luft etc.) immer wieder neu her geleitet und entwickelt wurden, sind etwa (S. 152) die „Dimensionen des Temperaments“ von Robert Cloninger (2009): Schadensvermeidung – Neugierde – Abhängigkeit von Belohnung – Beständigkeit. Wer da an DISG denkt … Außerdem hat Cloninger die vier Dimensionen mit dem limbischen System in Verbindung gebracht, ergänzt um drei Dimensionen des Charakters (innere Ordnung, Kooperationsfähigkeit und Selbsttranzendenz, verortet im Neocortex (S. 174f.). „Was macht Andreas Malessa [ein Fallbeispiel] so viel besser als Michael Kohlhaas? Er wahrt die Verhältnismäßigkeit, relativiert die wütenden Bauchgefühle mit Hilfe der Vernunft und pocht nicht auf absolute Gerechtigkeit.“ (S. 214) Schön auch „Die Neuroanatomie von Kopf, Bauch und Herz“ (S. 252ff.) – und die Affirmation „Die Ressourcen zur Selbsterkenntnis sind bei jedem Menschen ständig präsent“ (S. 305). Mit der Chance: „Scheitern fruchtbar machen“ (S. 328). Gute Lektüre wünsche ich!