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Schwarzbuch Personalentwicklung

Autor Viktor Lau
Verlag Steinbeis Edition
ISBN 9783943356793

Das Buch des heutigen Leiters der Personal- und Organisationsentwicklung einer norddeutschen Universalbank ist ein Plädoyer: für evidenzbasierte PE und OE. Entschieden tritt er an gegen Psychologisierung (wie die Rezensentin in ihrem Buch „Unternehmen in der Psychofalle“) und – expressis verbis – gegen das, was er Esoterisierung nennt. Esoterisches, so das Diktum, habe in Unternehmen nichts zu tun. Besonders alarmiert er Personaler in Unternehmen, die herausragend empfänglich für esoterische Strömungen und Ansätze seien und daher ihrer primären Verantwortung nicht nachkämen, Personal statt Persönlichkeit (Oswald Neuberger) zu entwickeln.

Wäre das Buch ein des Schwitzens fähiger Organismus, träten aus jeder Pore Entrüstung, Ablehnung, Empörung ob des Ausmaßes an Esoterisierung besonders in der PE. In durchaus polemischer Weise tritt Herr Lau an, den Fokus auf Entstehungs- und Geltungszusammenhang (faktisch auch auf den Verwertungskontext) esoterischer Ansätze zu legen. Zitate im Text und Fußnoten zeigen, dass er sich ausgiebig mit einigen im angestrebten Sinn äußerst kritisch argumentierenden Autoren befasst hat, denen das Esoterische ebenfalls ein Dorn im Auge ist und die gegen eine so genährte Unverantwortlichkeit in der beruflichen Weiterbildung zu Felde ziehen. Bedient hat sich der Autor ebenfalls bei soziologischen Erklärungsversuchen der Attraktivität „okkulte(r), spiritistische(r), mystische(r) und/oder psychotherapeutische inspirierte(r) Ideologien“ (S. 55). Diese Autoren nimmt er als häufige Referenz, sei es zitierend in argumentativer Absicht, sei es, um seine Kritik zu autorisieren oder zu referieren. Auf diese Weise erhält der Leser einen Ein-, vielleicht gar Überblick über kritische Stimmen.

Das für Leser Überraschende mag sein, welche Ansätze Viktor Lau zu den esoterischen zählt. Auf der Basis eines Kriterienkatalogs (in der Einleitung und immer wieder in Folgekapiteln genannt), der das für Management-Esoterik Signifikante herausstellt (mit, das sei angemerkt, hoher Überschneidung zur Charakterisierung von Ansätzen, die sich mit Professionalisierung befassen), entlarvt er als esoterische Konzepte diese: Psychospiritualistische Strömungen mit ihrem „Kult um das Ich“, NLP, Organisationsauffstellung, Systemische Beratung, Tiere [&] Co, Transaktionsanalyse, gängige, plakative Eignungs- oder Persönlichkeitsdiagnostische Ansätze, Zen- und weitere der buddhistischen Philosophie nahestehende Ansätze. Vermutlich reagieren Leser, vorzugsweise Berater, Coaches, Trainer, Personaler, besonders aversiv darauf, NLP, TA, Diagnostik und – vor allem anderen – Systemische Beratung dort zu finden.

Doch sollten sich diese Empörten auf die argumentierenden Ausführungen einlassen. Denn auch wenn Viktor Lau zuweilen holzschnittartig, also grob und zu wenig differenzierend, stattdessen plakativ und „en gros“ analysiert und argumentiert, wenn er übersieht, dass es „Tools“ gibt, die unäbhängig von esoterischer Anthropologie etc. angewandt werden können, kommen denkende Leser nicht umhin, bei Aufdeckungen zu Ideologie, Entstehungsbedingungen, Geltungsanspruch und theoretischer, wissenschaftlicher, empirischer Belastbarkeit von Behauptungen, Geltungsreichweite und Erfolgswahrscheinlichkeit zu nicken.

Bei der Rezensentin läuft der Autor durch ein geöffnetes Scheunentor, wie ein Blick in das oben erwähnte Buch verdeutlicht. Auch dort findet sich grundsätzliche Kritik, der Bezug zur Verantwortlichkeit von betrieblichen Weiterbildnern und der Bogen zu gesellschaftspolitischen Auswirkungen. Viktor Lau betont dies zu Recht immer wieder, mit hoher Redundanz, die die Dringlichkeit hervortreten lässt, sich auf eine ernüchternde Betrachtung betrieblich sinnvoller, weil Berufsrollen fokussierende PE und OE einzulassen und von Psycho- und Esoterisierung fort dorthin umzuschwenken.

Inwiefern das vehemente Plädoyer für Evidenzbasierung unwidersprochen bleiben sollte, ist indes zu diskutieren. Denn bereits die „Mutter“ der Evidenzbasierung, die Medizin, neuerdings auch die psychologische Evidenzbasierung sind schwer unter Beschuss geraten. Die vehemente Kritik bis hin zu Plädoyers, in Evidenzbasierung nurmehr ein Zauberwort zu haben, das Objektivität oder bestmögliche empirische Absicherung vorgaukelt, demonstriert eindrücklich, dass es auch dort mehr oder weniger systematische Fallen und Fehlschlüsse gibt, je nach Datenlage, Erhebungs- und Auswertungsmethode und Erkenntnisinteresse. Auch hier sind Entstehungs-, Geltungs-, Verwertungskontexte jeweils auf ideologische Grundierung, Entstehungskonstellationen und Ansprüche von Geltung und Verwertung zu prüfen. Dass diese Kritik für PE und OE mindestens ebenso gilt, haben einige Publikationen nachgewiesen (Metaanalysen) und kann jeder Leser von populären Magazinen aus der Branche leicht nachvollziehen, etwa wenn Ergebnisse von „Studien“ mit wenigen Probanden allgemeingültige Erkenntnisse zu liefern beanspruchen und mit diesem Tenor publiziert werden. Dennoch: Evidenzbasierung ist eine (!) Variante, betriebliche Weiterbildung, PE; OE, Management-Beratung und -Coaching auf intellektuelle, wissenschaftlich tragfähige Füße zu stellen! Kommt die Orientierung an Personal(!)-Entwicklung und die Abwendung von Persönlichkeitsentwicklung dazu, können Interventionen verantwortungsvoll, nüchtern, fundiert pragmatisch den Auftrag erfüllen: nämlich primär Unternehmensbelangen zu dienen.

Regina Mahlmann