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Saint Matorel

Autor Max Jacob
Verlag Osburg
ISBN 978-3-955-10214-2

„Eine Inkunabel des frühen Surrealismus: nach über einhundert Jahren zum ersten Mal wieder mit den eigens für den Text geschaffenen Radierungen von Pablo Picasso vereint. Die Erstausgabe, 1911 bei Kahnweiler in Paris in einhundert Exemplaren erschienen, gehört heute zu den Preziosen berühmter Bibliotheken. Die wenigen auf dem Kunstmarkt gehandelten Exemplare erzielen verlässlich hohe Preise im fünf- bis sechs­stelligen Bereich.“ Dieser Verlags-Text liefert gleich den Kontext zu diesem interessanten Literatur-Artefakt, das also quasi Bildender Kunst als Quelle sein textliches Leben verdankt… Modern gesagt: ein crossover… Und schon „allein“ durch die vier abgedruckten Radierungen Picassos ein Juwel.

Surreal…
…entwickelt sich auch das Leben der Hauptperson, um die es hier geht: „Dieser kleine Roman aus dem Jahre 1911 ist eine Entdeckung, ein noch nie ins Deutsche übersetztes Meister­werk des beginnenden 20. Jahrhunderts. Er ist ein Zeugnis der Literatur der frühen Moderne, von überschäumender Fantasie und gleichzeitig ein Meilenstein auf dem Weg zum Surrealismus. Jacob erzählt darin die Geschichte des kleinen Metroangestellten Victor Matorel, der etwas wirr im Kopf ist, sich zum Katholizismus bekehrt und als Bruder Manassé 19 Monate in einem Lazaristenkloster verbringt, ehe er »im Geruch der Heiligkeit« stirbt und zusammen mit seinem Freund Émile Cordier, der sich ebenfalls zum Katholizismus bekehrt hat, auf einem Pferd durch die sieben Sphären zum Himmel aufsteigt.“ Auf den ersten Blick (und beim ersten Lesen) ein ziemliches Durcheinander – da mag Leser sich gar an Picasso erinnert fühlen  … Und theologische Diskussionen verfolgen, mit vielerlei Bibel-Bezug (wie Zweifel daran!), etwa S. 108ff. Plus Allegorien, etwa zu Luzifer (S. 118ff.).

Struktur
… gibt es eher weniger als mehr: Denn „Saint Matorel, der viel Autobiografisches enthält, entwickelt sich keineswegs chronologisch. So beginnt der Roman mit der Begegnung des Autors mit Victor Matorel in der Metro, um dann gleich vom Tod Matorels und seinem Aufstieg in die Sphären zu berichten. Er zeigt schon das Imitationstalent von Max Jacob, die Fähigkeit, sich in die Haut anderer zu versetzen, die bis zum Identitätsverlust geht.“ Verwirrend also, wie der Protagonist verwirrt erscheint – und doch überraschend zielorientiert: „Der Roman ist komplex, burlesk und poetisch zugleich, voller theosophischer und mythologischer Anspielungen und überreich an Bildern. Er erschien zuerst 1911 in der Galerie Simon (bei Kahnweiler) mit kubistischen Graphiken von Picasso, die wir die Freude haben, in der deutschen Ausgabe mit abdrucken zu dürfen.“ (siehe dazu S. 156f. den Abbildungsnachweis) Leser freue sich an beidem! Wie auch an der Ausstattung: fest gebunden, mit Leseband… Und mit einem Nachwort der Übersetzerin, das interpretiert und einordnet. Fein, sehr zu empfehlen – je nach Wunsch zum Reflektieren, sich Orientieren – oder schlicht auf hohem Niveau unterhalten zu werden. HPR www.dialogprofi.de www.gabal.de

Hanspeter Reiter