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Radio Activity

Autor Karin Kalisa
Verlag C.H.Beck
ISBN 978-3-406-74093-0

„Alle, sagte sie, alle sollen es hören“ titelt die Rückseite des Schutzumschlags … Genau, ums Hören geht es – und ums Sprechen… Eine Story, die oberflächlich als eine Art Krimi daher kommt, jedoch viel mehr ist als das: fast eine Dokufiktion – in drei Teilen, dem Medium Radio gewidmet = on, stay, off – also einschalten, dran bleiben, abschalten … Sehr bildhafte Schreibe, emotionale Sprache, Sinn-orientierter Wortschatz.

Hören und Sprechen
… sind hier ausgiebig ausgebreitet: Via rein akustischem Medium, mit variabler technischer Seite (Ton-Ingenieur, Ton-Studio..), als Sinn-gebend (für manchen Protagonisten nur mithilfe eines Hörgeräts), zuhören statt nur selbst sprechen… Und das ist die Story, kurz gefasst: „Nora Tewes hat die perfekte Radiostimme – und einen Plan. Im Rundfunk will sie einen Täter stellen, dem ihre Mutter als Kind ausgeliefert war. Er wurde nie belangt, inzwischen ist das Verbrechen verjährt. Aber nicht vergeben. Am Mikrofon beginnt sie ein gefährliches Spiel. Doch mithilfe von Simon, einem Rechtsreferendar, eröffnet sich ein anderer, ein besserer Weg. Nicht unbedingt legal, aber hochwirksam. In ihrem politisch brisanten Roman erzählt Karin Kalisa, behutsam und doch voller Energie, von der Suche nach Gerechtigkeit, von Freundschaft, Mut und dem unbeirrbaren Vertrauen in die eigene Handlungsfähigkeit.“ Wobei der Titel trefflich mehrdeutig ist, zum berichteten Geschehen nur allzu sehr passend: Aktivität im Radio und durchs Radio getriggert, ausstrahlend und heftig ansteckend, nachlassend wirkend mit einer Art Halbwertzeit…

Mehrere Geschichten in einer
… scheint es da zu geben: Es geht um das Medium Radio und sein Wirken (auch in der heutigen Internet- und Bewegtbild-Zeit), um Kindes-Missbrauch und Rechts-Empfinden (plus –System), um Sprache und Sprechen: „Wenn sie zu hören ist, werden die Radios lauter gedreht und stocken die Gespräche: Nora Tewes hat die perfekte Radiostimme – und einen Plan: Auf 100.7, einem Sender, den sie mit zwei Freunden gegründet hat, will sie einen lange davongekommenen Täter in die Enge treiben. Überstürzt ist Nora in ihre Heimatstadt zurückgekehrt, um ihrer Mutter, die im Sterben liegt, nahe zu sein.“ Dafür hat sie ihre Karriere als Ballerina aufgegeben – und ihren Partner in den USA zurück gelassen. „Unter der Last des viel zu frühen Abschiednehmens bricht eine nur oberflächlich verheilte Wunde auf, und ein Verbrechen, dessen Opfer ihre Mutter als Kind geworden ist, wird offenbar.“ Kindes-Missbrauch nämlich – ein derzeit bedauerlicher Weise nur allzu aktuelles Thema, Internet-Sauerei inklusive. „Damals“ vor einem halben Jahrhundert „nur“ real, doch genauso übel!

Justiz-Skandal?
Nur dann, wenn an geltendem Recht vorbei gedacht, denn: „Nora erstattet Anzeige und erhält eine niederschmetternde Antwort: Verjährt. Am Mikrofon beginnt sie ein gefährliches Spiel, um die Hörerschaft gegen den Täter zu mobilisieren. Als es schon fast zu spät ist, findet sie gemeinsam mit Simon, einem Rechtsreferendar, einen anderen Weg. Dass dabei die Grenzen der Legalität strapaziert werden, ist eine Sache. Eine andere die Frage, was Nora und Simon einander sein können außer „companions against crime“.“ Durchaus im Sinne des sinnlichen Erlebens – er schlecht hören, sie schlecht sehend: Klappt das mit dem Fühlen? Siehe S. 306ff. Auch so lässt dieser Art Bildungs-Roman sich zusammen fassen: „Temporeich, unverwechselbar im Ton, mit eigenwilligen Charakteren, die man nicht mehr vergisst, erzählt Karin Kalisa in ihrem neuen, schmerzlich-schönen und politisch brisanten Roman davon, wie beherztes Handeln die Suche nach Gerechtigkeit vorantreibt.“ Fein, dass utopisches Ziel-Erreichen und Heldentum vermieden sind – und somit ein aufgesetztes Happy-ending! So erscheint das Finale durchaus realistisch… HP

Hanspeter Reiter