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Operative Porträts

Autor Roland Meyer
Verlag Konstanz university press
ISBN 978-3-8353-9113-0

„Eine Bildgeschichte der Identifizierbarkeit von Lavater bis Facebook“ setzt Bilderkennung als höchst umstritten diskutiertes Verfahren der Moderne in einen weit gefassten Rahmen. Ja, wie brandaktuell das Thema ist, zeigen Medien-Artikel wie dieser: https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/alison-jackson-in-wien-wie-sie-sich-trump-immer-vorgestellt-haben-a-1294058.html … In dem es hierum geht: „Doppelgänger-Fotos Sind sie’s wirklich? Die Queen auf dem Klo, Kim und Kanye in der Garderobe: Fotos sind leicht manipuliert und hochmanipulativ. Alison Jackson inszeniert Promi-Doppelgänger – und kritisiert so auch unsere Leichtgläubigkeit.“ Höchst operativ, diese Bilder …

Gesichter identifizieren
… klappt erst bedingt, doch das wird sich rasch ändern. Dann tragen all die Selfies und Schnapschüsse bei vielerlei Gelegenheiten („immer“?!) freudvoll dazu bei, dass KI (künstliche Intelligenz) aus unendlich vielen Daten bestens lernt, jeden jederzeit wieder zu erkennen: „Gesichter hinterlassen heute digitale Spuren: Von allgegenwärtigen Kameras erfasst und algorithmisch ausgewertet, werden sie massenhaft zu personalisierten Profilen verknüpft. Operative Porträts geht den verstreuten Anfängen dieser Entwicklung nach und wirft einen neuen Blick auf die Geschichte des Gesichts unter den Bedingungen seiner technischen Reproduzierbarkeit.“ Auf mehr als 400 Seiten zeigt er Entwicklungen auf, die kaum jemand im Blick haben dürfte: „Wie wurden Bilder von Gesichtern zu Objekten eines identifizierenden Blicks, der sie in lesbare Information zu verwandeln versucht? Wann wurde es denkbar und schließlich gar selbstverständlich, dass von jedem Individuum endlose Bilderserien zirkulieren? Und welche Vorstellungen von menschlicher Individualität sind in die Verfahren algorithmischer Erkennung eingeflossen? Das Buch verfolgt diese Fragen entlang sonst meist getrennt verhandelter Stränge einer Bildgeschichte der Identifizierbarkeit. Es erzählt eine Geschichte privater Porträtpraktiken – von Lavaters Schattenrissen bis hin zu Facebook -, wirft Schlaglichter auf ästhetische Neubestimmungen des Porträts in der Moderne und unternimmt eine Medienarchäologie der Identifizierung von der frühen Kriminalistik bis zur automatisierten Gesichtserkennung.“ Tatsächlich umfasst diese Historie die ersten mehr als ¾ des reich bebilderten Bandes, wie es im Thema gebührt.

Die Logistik der Bildermassen
… ist ein schon lange vor der digitalen Zeit existierendes Phänomen, wie der Autor zeigt, in den Kapiteln I-III: Alben und Ähnlichkeiten: Lavaters Profile und Netzwerke (!), Disdéri und die Ökonomie des Formats, Lombroso und die Verdatung der Abweichung (!), Galton und die Objektivierung der Ähnlichkeit (!) – wieviel der heutigen Diskussion schon im Analogen! II Archive und Differenzen: Bertillons Standarisierungen (Archive auf statistischer Basis), Daktyloskopische Mustererkennung (!), Ausweitung der Identifizierbarkeit (Massen, Weltverkehr und internationale Apparate). III Serialität: zur Krise der Ähnlichkeit um 1900, Rodtschenko, Sander und die Serialisierung des Porträts, Das Warhol-Dispositiv (oha, PopArt kommt ins Spiel – und damit auch: Comic!). „Vor dem Horizont der digital vernetzten Gegenwart wird so ein fundamentaler Funktionswandel des Porträts erkennbar: Der traditionelle Anspruch, im Einzelbild die Repräsentation eines autonomen Individuums zu leisten, wird seit den Anfängen technischer Bildproduktion vom Versprechen der Operativität abgelöst. Bilder von Gesichtern werden zu Elementen unabschließbarer Serien technischer Aufzeichnungen, dazu bestimmt, systematisch mit anderen Bildern und Daten verknüpft zu werden. Indem es diesen Funktionswandel nachzeichnet, leistet das Buch von Roland Meyer nicht zuletzt einen historisch fundierten Beitrag zum Verständnis heutiger digitaler Bildkulturen.“ Voila, IV Datenbanken und Muster: Maschinenlesbare Gesichter, Herold, Zuckerberg und die Logistik digitaler Identitäten, Schluss: Gesichter, Spuren, Daten. – Letztlich ein sagenhaftes Buch rund um Visualisierung und deren Nutzung… HPR www.dialogprofi.de www.gabal.de

Hanspeter Reiter