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Nord Sentinelle

Autor Jerome Ferrari
Verlag Secession
ISBN 978-3-96639-117-7

Diese „Erzählungen vom Einheimischen und vom Reisenden“ hätten in Summe vielleicht auch den Titel „Mord…“ verdient gehabt  – eher nachdenklich stimmend statt unterhaltsam, weitgehend frei von Spannungs-Elementen, weil: ruhig berichtet, mit annähernd 150 Seiten. Eine „bissig-satirische Gesellschafts-Analyse – akut ernst und urkomisch“ in einem, in exzellenter bibliophiler Ausstattung, Hardcover mit Leseband..

Wächter im Norden?
Nee, das ist der Name der (Andamanen-)Insel, auf der das Ganze spielt, „North Sentinel“ nämlich, deren Silhouette zudem das Cover ziert, von Schiffen umgeben… Obwohl – aus der Lage mag der Name (also jener der Insel statt einer Person) sich erklären, aus früher(er) Zeit… Und das ist der Kern der Story: „Der junge Alexandre Romani ersticht im Hafen einer korsischen Küstenstadt inmitten einer bunten Menge feierlustiger Touristen Alban Genevey, einen Pariser Studenten, den er von Kindesbeinen an kennt, da seine Eltern auf der Insel ein Haus am Meer besitzen. Der Erzähler, aufgrund einer tragischen Liaison mit dem Täter verwandt, blickt von der Mordnacht zurück auf die Lebenswege der Protagonisten und zeichnet das Porträt einer Gesellschaft nach, in der Massentourismus und Geistlosigkeit ungute Voraussetzungen für ein gelingendes Leben sind. Tragikomisch erzählt Jérôme Ferrari »vom Reisenden und vom Indigenen«, wie der Roman ironisch bekennt, und spürt dabei in seiner bekannt kraftvollen, poetischen und nun auch bissig ironischen Sprache der Entstehung von Gewalt nach. Meisterhaft dringt er bis in die verborgenen Winkel der menschlichen Seele vor, wo die Enttäuschung, niemand anderer als man selbst zu sein, unser Handeln bestimmt.“ So sind die Geschehnisse ineinander verschränkt, obwohl scheinbar unabhängig voneinander passierend…

Literarische Ansprüche
…darf die Leserschaft durchaus stellen: So lapidar und recht distanziert beschrieben der Text daher kommt, so geht er „dennoch“ unter die Haut, macht betroffen und nachdenklich: Eine moderne Erzählung, die an jenen Stil mancher Autoren des 19. Jahrhunderts erinnert – manch Leser mag gerade den einen oder anderen russischen Schriftsteller vor sich sehen! Jedenfalls finden sich Szenen beschrieben, die „mitnehmen“, im positiven Sinne, hinein ziehend ins Geschehen, siehe etwa (S. 42ff:) einen Gruppen-Ausflug, der den Erzähler ans Höllen-Dasein erinnert. Was zur Besessenheit passt, die an anderer Stelle ausgeführt wird, als Folge eines Dschinns, zudem ausgiebigst aufgebauscht von xter Seite, wieder und wieder erzählter Horror in Form einer Amok-Epidemie von Tieren(S. 74ff.). Und „schließlich“ die gedanklichen Assoziationen am Flughafen via dortiger Werbesprüche (S. 126ff.): Nun, dieser Autor weiß jedenfalls mit Sprache umzugehen – und bietet u.a. vielerlei Metaphorisches… HPR www.dialogprofi.de www.gabal.de

Hanspeter Reiter