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Nicht für den Profit

Autor Nussbaum, Martha C.
Verlag Tibia Press
ISBN 9 783935 254915

Die auch hierzulande zunehmend bekannter werdende Philosophin und Professorin für Rechtswissenschaften und Ethik an der Universität von Chicago ist in den USA bekannt für ihre Gutachtertätigkeit vor Gericht und international für ihr ethisches Engagement in Schrift und Tat. Im Geist einer demokratiefähigen Bürgerlichkeit legt sie mit diesem Buch ein „Manifest“ (143) vor, in dem sie mit besonnener Leidenschaft für eine Bildung (familiär, institutionell (Kindergarten, Schule, College, Universität) plädiert, die es braucht, damit eine Demokratie lebensfähig ist.

In philosophierender Manier und essayistischer Tonalität zieht sie historische Autoritäten als Referenzen heran (vor allem Platon/ Sokrates, Pestalozzi, Fröbel, Tagore), die beispielhaft und avangardistisch für eine Erziehung und Bildung eintraten, die Martha Nussbaum als Paradigma vorschwebt. Sie referiert deren Schwerpunkte in der pädagogischen Umsetzung der Ideen, einschließlich kritischer Anmerkungen und Überlegungen zur Nutzbarmachung für heutige Bildungsaktivitäten bzw. Curricula.

Neben den Ausflügen in die Vergangenheit zieht sie gegenwärtige Erkenntnisse vor allem aus evolutionärer und Tiefen-Psychologie heran und zitiert etwa Donald Winnicott, Kinderarzt und Psychoanalytiker, der sowohl das empathische, das spielerische/ fantasievolle als auch das kognitive Momentum in Erziehung und Bildung praktisch umgesetzt hat.

Martha Nussbaums Überlegungen entzünden sich an Fehlentwicklungen in Erziehung und Bildung (akzentuiert an den USA und Indien), deren Wurzel in der Konzentration auf wirtschaftliche Belange einer Gesellschaft und damit einer betriebswirtschaftlichen Logik liegen. Ihre drei Kategorien Empathie (Mitgefühl, Rücksichtnahme, Anteilnahme), Fantasie (Role-Taking, Perspektivenwechsel) und sokratische Methode(rationale, kritisch-neugierige, auf Verstehen zielendes Fragen) bzw. die Intention einer Erziehung zu kritisch-konstruktivem, souveränem und empathischen Leben prüft sie unter dem Vorzeichen erdweiter Demokratiefähigkeit und –performanz. In unterschiedlichen Versionen und aus verschiedenen Perspektiven fragt sie nach den Bedingungen der Möglichkeit, und zwar eingedenk der biologisch-evolutionären Anlagen und Schwächen der menschlichen Verfassung, der kognitiven Fallen und Präferenzen. Insofern geht sie nicht von einem Menschenideal aus, sondern diskutiert Optionen angesichts menschlicher Eigenheiten, die demokratische Bildung erschweren bzw. ermöglichen.

Der Leser muss nicht jeden Gedankengang bejahen, um das Buch als wertvolle Inspiration zu erfahren. Im Gegenteil: Martha Nussbaum lädt in ihrem Manifest zum Mit-, Nach- und Bedenken genauso ein wie zum begründeten Widerspruch, solange das Denken ihr Thema kreist: Bedingungen der Möglichkeit und bahnende Maßnahmen, um demokratiefähige Bürger zu bilden.

Die Philosophin bewegt sich selten im Abstrakten und viel, sogar auf Beispielebene, im Konkreten – sei es als Schilderung, sei es als weiterführende Überlegung für etwa die Gestaltung von Lehrplänen (und dient dabei fast als Modell). Das Programm, das eine demokratiefähig machende Bildung zu bewältigen hat, ist enorm und beginnt im Säuglingsalter, damit bei Erziehern und pflanzt sich in Bildungsinstitutionen fort. Inhaltlich geht es darum, die drei Kategorien zu bedienen, also nicht nur logisches und rationales Denken zu fördern, dessen Notwendigkeit die Autorin wohltuend akzentuiert, sondern auch um die Erziehung zu Selbstständigkeit und verstehende Empathie durch physische Tätigkeit sowie um die Ausfaltung von Fantasie mit Hilfe von Kunst (Tanz, Literatur, Malerei etc.).

Das Manifest mit seiner politischen (gesellschaftsbildenden) und pädagogischen Botschaft regt zudem zum Weiterdenken an, etwa zur Frage, inwiefern Versäumnisse in Kindheit und Adoleszenz in der Erwachsenenbildung aufgeholt oder kompensiert werden können.

Das Buch reiht sich zudem ein in die – bis dato wenigen – Äußerungen zur bedrohlichen Einseitigkeit des Erziehungs- und Bildungsparadigmas, dessen Ausgang ´mal in der wirtschaftslibertären/neoliberalen Wirtschaftslogik verortet wird, ´mal in den Risiken multimedial-digitaler Sozialisation, `mal in der Zusammenwirkung von beiden.

Zur Lektüre dringend empfohlen

Dr. Regina Mahlmann