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Mysterium der Zeit

Autor Monaldi & Sorti
Verlag sonstige
ISBN 978-3-351-03373-6

Wenn sich Leser fragt, worauf er sich da einlässt, erinnere er sich an „Imprimatur“, dem fulminanten Debüt dieses Autoren-Duos (Altphilologin und Musikwissenschaftler, also fachlich fundiert); insgesamt sind es bereits sieben historische Romane, eigentlich: Dokufiktionen, die sie vorgelegt haben. Übrigens veröffentlichen sie nach dem massiven Boykott katholischer Kreise in Italien von „Imprimatur“ nicht mehr dort, sondern zunächst in englischer Übersetzung als Originalveröffentlichung: Kennzeichnend?!

Jedenfalls führen sie uns auch dieses Mal in eine erfundene Geschichte, die jedoch inhaltlich auf Dokumenten beruht und an vielerlei Stellen mit eben diesen „spielt“, indem sie (teils original) zitiert werden. Das Personal ist großenteil Menschen jener Zeit nachempfunden und natürlich dem Zeitkolorit angelehnt. Schwierig nachzuvollziehen war für mich das Hin- und Herwogen des Geschehens, das sich dann durchaus überraschend auflöst. Ach ja, Leser bewegt sich mit den Geschehnissen Mitte des 17. Jahrhunderts, im Zentrum ein schiffbrüchiges Grüppchen aus Kastraten, Gelehrten und Korsaren. Anhand dieses Abenteuerromans gehen die Autoren der selbst gestellten These nach, das Zeitalter der Antike beruhe auf Erfindungen hinterfotziger Autoren, die Dokumente geschickt nachempfunden haben, um zahlungswilligen Sammlern Geld aus der Tasche zu ziehen: Über scheinbares Kopieren von Handschriften, deren Originale plötzlich zufällig verschwanden, wurden etwa griechische Autoren erfunden und Schriften querzitiert, die nicht überliefert wurden – hmm, ganz einfach: weil sie nie existiert hatten.

Ungeheuerlich? Nun, Umberto Eco geht in seinem neuesten Werk „Ein Friedhof in Prag“ auch dem Gedanken nach, wie durch einfaches Zitieren von Schriften aus dritter Hand, Kompilieren unterschiedlichster Texte und Dazuerfinden weiterer Inhalte Dokumente als scheinbare Originale entstehen – was wir aus neuester Zeit von Herrn zu Guttenberg kennen, der somit kaum ein würdiger Nachfolger von Herrn Gutenberg sein kann. Zurück zum Mysterium – hier fühlte ich mich auch die Bücher von Heribert Illig erinnert, der die These vertritt, das dunkle Mittelalter sei eine reine Erfindung in der Auseinandersetzung von kirchlicher und weltlicher Macht im Kampf um die Vor-Macht: In Wirklichkeit lägen wir im Kalender 300 Jahre zu weit vorne …  

Bei diesem „neuen Geniestreich von Monaldi [&] Sorti“ (Schutzumschlag) geht es noch um ein paar Jahrhunderte mehr – und sie präsentieren ihre Ideen weit unterhaltsamer als Illig, der reine Sachbücher schreibt, die übrigens dennoch durchaus spannend zu lesen sind. An Spannung mangelt es „Mysterium der Zeit“ noch weniger: „Der Funde einer lateinischen Handschrift versetzt … die Gelehrten in helle Aufregung, prangert sie doch bedeutsame Werke der Klassik als lächerliche Fälschungen an.“ Dies alles geschrieben wieder aus der Sicht eines Sekretärs jener Zeit, sprachlich-prosaisch angepasst und deshalb den Leser in eine Zeitreise mitnehmend …

Eine Reise über 750 Seiten und einen ausführlichen Anhang, der belegen soll,  dass es mehr als genug nachweisliche Anhaltspunkte gibt, dass die Geschichte ähnlich wie beschrieben abgelaufen sein könnte. Ich fand´s durchaus überzeugend: Eine Menge Stoff zum Nachdenken und Diskutieren …

Hanspeter Reiter