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Munk

Autor Ricardo Piglia
Verlag Wagenbach
ISBN 978-3-803-13269-7

Ein Roman aus durchaus jüngerer Vergangenheit verwebt Nord- und Südamerika: Als Argentinier ist der Autor stark in die Geschichte und Geschichten von Verfolgern und Massakern unter Andersdenkenden verwoben, gerade in Zeiten von (Militär-)Diktaturen. So zögert sein Protagonist auch kaum, einem Ruf einer Kollegin zu einem Gast-Semester an eine US-Universität zu folgen. Umso mehr, da er sich selbst sehr aus dem akademischen Geschehen seines Heimatlandes zurückgezogen hat: „Während des bitterkalten nordamerikanischen Winters leitet Emilio Renzi an der elitären Taylor University ein Seminar über W. H. Hudson. Gefangen im skurrilen Elfenbeinturm der Universität, wo die Kollegen Intrigen schüren und der einbeinige Dekan Don D Amato einen Hai im Keller hält, lässt sich Renzi auf eine Affäre mit der brillanten Professorin Ida Brown ein. Doch dann ist Ida auf einmal tot und das FBI beginnt zu ermitteln. Ist Ida Brown Opfer eines Serienkillers geworden? Hatte sie Kontakt zu einer terroristischen Zelle? Und wieso ist es bei der Jagd auf Massenmörder hilfreich, James Joyce gelesen zu haben? Renzi findet nach dem Tod seiner Geliebten keine Ruhe und geht den überforderten Agenten zur Hand: Bald schon eröffnen sich vor ihm die paranoiden Abgründe der US- amerikanischen Gesellschaft. Was vermeintlich als sentimentale campus novel beginnt, verwandelt sich unversehens in einen Kriminalroman mit Anleihen bei Thrillern aus Hollywood und in das Psychogramm eines kaltblütigen Täters mit revolutionären Ideen.“ Und natürlich kommt das Erinnern an den tatsächlichen US-Terroristen „Unabomber“ auf, mit dem eben dieser Professor (Thomas) Munk vieles gemeinsam zu haben scheint, das Mathe-Genie (Träger der Fields-Medaille). Doch dieser außerordentliche „Krimi“ bietet weit mehr, etwa in den Sprachen-übergreifenden Sprachspielereien, siehe den Vornamen der Geliebten „Ida“ (S. 54): „Auf Spanisch war ihr Name eine Handlung, der „Hinweg“ (la ida), die Reise ohne Wiederkehr … aber auch eine seltsame Frau (está ida – die spinnt doch …)“. Oder dies, im Gespräch mit seiner Nachbarin am Universitäts-Ort, eingemietet im Haus eines Prof, der selbst in Europa weilt: „Die Sprache selbst verleiht ihnen diese Tiefe, bemerkte Nina lächelnd. Der Hang der russischen Sprache zum Mystischen sei eine Form von ontologischer Unvollkommenheit, die es bei anderen indogermanischen Sprachen so nicht gebe … Deshalb ist es so schwer, aus dem Russischen zu übersetzen …“ (S. 91). Und ganz anders mit einem Obdachlosen, den er quasi lfd. trifft (S. 128): „Er sei der Überlebende eines Schiffbruchs, vom Sturm ans Ufer gespült. Orion sprach ständig in Metaphern, als hätte das Leben auf der Straße einen Einfluss auf die Sprache und machte ihn empfänglich für Allegorien.“ Später dann Peter Munk, der Bruder des Terroristen, der vielleicht auch für Ida´s Tod verantwortlich ist (S. 182): „Sein Bruder habe sich in einem Jäger und Sammler und einen Philosophen wie Diogenes verwandelt … Keine zwei Wochen später behauptete einer von Peters Studenten in der Literaturwerkstatt …, der Stil von Recycler (sei) viel besser … als der sämtlicher „Kriegsschriftsteller“, die sie im Kurs behandelt hätten.“ Nun, welch´  Gedankengut hat er verarbeitet, Munk – siehe oben? Tja, vielerlei Bezüge stellt Piglia her und liefert seinen Lesern ein Füllhorn für die Reflexion – bis hin zu diesem hier (S. 229, kurz vor Ende der Handlung, die vieles offen lässt): „Der große Moment des Tages war die Performance eines avantgardistischen Künstlerkollektivs aus San Francisco, das Fragmente von Jarrys König Ubu vor den Überwachungskameras … aufführte … und sangen Lieder vor den Augen [sic!] der Polizei, die, als sie zum Angriff überging, selber Teil des Happenings wurde.“ Voila, eine Menge Geschehen auf gerade mal 252 Seiten – und darüber hinaus … HPR

Hanspeter Reiter