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Müde Museen

Autor Daniel Tyradellis
Verlag Edition Körber
ISBN 978-3-89684-153-7

„Oder: Wie Ausstellungen unser Denken verändern könnten“ untertitelt dieser lesenswerte Band, der zum Umsetzen auffordert, mit vielerlei provokanten – Thesen? Mehr als das, berichtet der Autor doch aus der (eigenen) Praxis!  Daraus entsteht folgender Ansatz, nachzulesen u.a. im Klappentext: „Das Ziel einer Ausstellung sollte nicht sein, bloß einen Forschungs- oder Wissensstand abzubilden oder Meisterwerke zu zeigen. Sie sollte viel eher die Mittel dazu bereitstellen, das daran Unerledigte und Vorausgesetzte zu verstehen und auszuhalten. Sie sollte Konstellationen präsentieren, die vielleicht quer zu allen musealen Usancen stehen, die aber gerade deshalb in der Lage sind, Laien wie Experten Fragen und Zusammenhänge vor Augen zu führen und so dabei helfen, Kultur und uns selbst anders zu durchdringen. Bei mehr als 6.500 Museen in Deutschland und rund 10000 Sonderausstellungen pro Jahr sollte hier für noch Platz sein.“ Es hat schon seinen Grund, dass eine WBG (Darmstadt) ihren Mitgliedern lfd. Sonderkonditionen für Ausstellungen bietet, in Kooperation, teils auch in Zusammenhang mit gemeinsam heraus gegebenen Katalogen: Blick ins Buch ist das Eine, das Erleben in 3D was ganz Anderes … Auch die Einschalt-Quoten von Abenteuer-Thriller-Filmen rund um die Jagd nach Artefakten mag zeigen, dass z.B. Historisches aus Kunst und Menschenleben sehr nachgefragt ist: Museen als Quelle von „action“? Jedenfalls liegen die Besuchs- (und somit „Einschalt“-) Quoten bei Ausstellungen dann besonders hoch, wenn nach Empfinden des Publikums etwas Spektakuläres dahinter steckt, siehe Ägypten [&] Co. Doch geht es (auch) um Kritische Erfolgsfaktoren (KEF): Allen voran das „liebe“ Geld – häufig kranke es am Finanziellen (siehe z.B. S. 46, 66; zur Künstlersozialkasse S. 230ff.). Dennoch bietet der Autor Ansätze, die mit „kleinem“ Geld oder mit gleich viel, wie eh schon ausgegeben wird, zu deutlich verbesserter Performance führen könnte, siehe: Beschilderung (S. 123): „so mancher Kurator einer Technikausstellung gerät während der Führung in mitreißende Euphorie … Die Texte auf den Objektschildern aber sprechen meist eine andere Sprache. Das kann auch daran liebe, dass die Texte gar nicht von den Kuratoren autorisiert worden sind …“ und von völlig anderen (mehr oder weniger) Beteiligten geschrieben. Eine zentrale (und anscheinend für das Thema radikale) Forderung des Autors ist, man müsse „Denken anders denken“ (S. 146): „Denken ist nicht die Wiederholung eines bereits bekannten Zusammenhangs oder der Nachvollzug von Abstraktionsleistungen und entdeckten Kausalitäten, sondern der Vorgang, der darin besteht, das Ungedachte ins Denken zu ziehen …“. Das ließe sich auch durch integrierte Konzepte umsetzen, etwa durch (z.B.) Einbeziehen des Audioguides ins Konzept der Ausstellung, wie geschehen bei „A House Full of Music“ (Darmstadt 2012, S. 182ff.). Das klassische „Weniger ist oft mehr“ im Sinne einer Reduktion der Objektfülle ist ein weiterer Ansatz des Autors (S. 208ff.). Und er schlussfolgert u.a. (S. 244): „Die Museen hätten – im Prinzipt – das Potenzial, Ausstellungen zu entwickeln, die Wissensvermittlung im skizzierten Sinne als schöpferischen Prozess begreifen, der es erlaubt, anders mit scheinbar Bekanntem und Gewissem umzugehen … Dass hierzu eher Sonderausstellungen als Dauerausstellungen geeignet sind, liegt angesichts der anders gelagerten Anforderungen … auf der Hand …“. Ein Rundumschlag, der auch interessant und relevant für Weiterbildner ist. Einmal natürlich generell, weil es bei Museen letztlich genau darum geht: Weiterbildung zu liefern. Zum Anderen, weil es vielerlei Verbindendes zu Trainings-Methoden gibt, woran mich erst kürzlich (im Mai 2014) die Kollegin Sandra Masemann erinnerte: Sie (wie auch ihre frühere Partnerin Barbara Messer) arbeitet gerne mit der Methode „Museum“, versinnlicht Aspekte durch Gegenstände, die sie dann auch präsentiert (erlebt beim DGSL-Kongress). So ließe sich provokant formulieren: „Tyradellis [&] Co. machen müde Museen (wieder) munter!“. HPR

Hanspeter Reiter