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Mensch und Welt

Autor Welsch, Wolfgang
Verlag Beck
ISBN 978 3 406 63082 8

Ich habe unter anderem die als Hör-CDs erschienen Vorlesungen von Wolfgang Welsch, Professor für Theoretische Philosophie, zu „Mensch und Welt“ sowie „Anthropologie“ gehört und mich schon seit seiner damaligen Ankündigung, ein Buch zur Thematik zu verfassen, auf eben dieses gefreut.

 

Die Lektüre beantwortet das erwartete Vergnügen an einer fein- und scharfsinnigen intellektuellen Mit- und Nachverfolgung von Gedanken zum Verhältnis von Mensch und Welt vollends. Für philosophisch Interessierte sind die verschiedenen Perspektivenwechsel und synergetischen Konstellationen besonders reizvoll. Die Welt aus der Sicht der Kognition bzw. die Kognition aus der Sicht der Welt zu betrachten, etwa, ist ein solcher. Für die Darlegungen im Übrigen ein fundamentaler. Die evolutionäre Perspektive wird erfreulich konsequent verfolgt. Die Kategorie der Relationalität steht damit im Zentrum – im Sinn von Hervorgebrachtsein, Geprägtsein, Geschichtlichkeit oder „Welthaltigkeit humaner Kognition“ und die Möglichkeiten zu objektiver Erkenntnis, sowohl in Begriffen von biologisch/genetisch als auch mental, geistig, epigenetisch, ontisch und ontologisch.

 

Der Philosophieprofessor aus Jena beginnt seine Ausführungen bei dem frühen Diderot und dem Ausruf der Moderne, der Mensch sei der Begriff, von dem alles auszugehen und auf den alles zurückzuführen sei – das „anthropische Prinzip“, dem der heute so moderne konstruktivistische Ansatz erliegt. Dieser Ansatz wird kritisch einem nicht-anthropischen gegenübergestellt, einem Ansatz, der den Menschen – einfach gesagt – als Teil der Welt und damit weltverbunden und –geprägt zeigt. Der Autor spannt den Bogen von einem Verständnis von Mensch und Welt, in dem der Mensch ein Weltfremdling ist, zu dem Verständnis einer (evolutionär nachvollzogenen) Weltverbundenheit. Diese polaren epistemischen Standpunkte (!) scheinen von nur abstraktem Interesse. Sind sie aber nicht. Gerade Menschen, die professionell beratend, coachend, trainierend aktiv sind, sollten a) mindestens von diesen Polen wissen und b) erkennen, welche konträren Folgen sie zeitigen, beispielsweise in der Vorstellung von objektiver/subjektiver Erkenntnis/Erkennbarkeit, in Fragen zu Verantwortung und Entscheidung(smacht), Zuschreibung und Relativierung von Attributionen, von Lebenswerten und Lebensführung. Bereits die – verbreitete – Überzeugung des Verhältnisses von Mensch und Welt als der Beziehung zwischen dem erkennenden Subjekt und dem zu erkennenden Objekt gebiert Grundlage und Leitlinien für praktisches Tun. Es gibt andere Auffassungen, und der Philosoph führt eine Umkehrung der Sichtweise vor, samt einiger Folgen.

 

Für Personen, die echte Freude an philosophischen Fragestellungen haben, bietet das Buch – im Vergleich zu den zu hörenden Vorlesungen – neue Aspekte. Darunter besonders eindrucksvoll der Gedankengang, Kognition aus der Sicht des Menschen (weiter gefasst: Kognoszenten) sowie aus der Sicht der Welt zu betrachten: Kognition als „Strategie des Seins, durch welche dieses nicht nur epistemisch seine eigene Erfassung betreibt, sondern sich auch ontologisch weiter vorantreibt.“ (8) oder – mit anderen Worten: Kognition als „Stabilisierungsfaktor sowie als Generator neuer Seinsformen und Seinsbeziehungen“ profiliert. Aus der Perspektive der Erkennenden/Wissenden erscheint Kognition als „Umwelterfassung und Selbststabilisierung“ und „aus der Perspektive des Seins selbst (kommt ihr) eine andere Bedeutung zu(…): die einer Selbsterfassung und Selbstvorantreibung.“ (150f).

 

Meine persönliche Hoffnung ging zudem dahin, dass Wolfgang Welsch auch seine kulturphilosophischen Überlegungen in diesem Band ausbaut, weil sie – gerade aus seiner evolutionären Sicht – die herkömmliche Rede über Interkulturalität beschämen und seine (als Hör-CD publizierten) Gedanken dazu vergnüglich scharfsinnig sind und dem einen oder anderen als provokativ erscheinen. Unüblich für eine Rezension, hier eine Botschaft an den Philosophen und Verlag: Bitte auch zum Themenkreis Kulturphilosophie ein schriftliches Werk, das – was leider in der Hörversion zu kurz gerät – die Debatte um Kulturrelativität, -pluralität, -heterogenität, evolutionäre Perspektive auf die Frage nach kultureller Anschließbarkeit (als Voraussetzung für das Gerede um Kulturverbundenheit über den Globus hinweg) die Frage nach Weltfremd- oder –verbundenheit philosophisch seziert und in Beziehung zueinander setzt!

 

Mensch und Welt – eine uneingeschränkte Leseempfehlung!

 

Dr. Regina Mahlmann