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Leading in Complexity

Autor Ulrich Bauer, Fritz Böhle, Kurt Buchinger, Klaus Götz, Klaus Mainzer, Peter Schettgen
Verlag sonstige
Seiten 198 Seiten
ISBN 978-3896709226
Preis 19,95

Der Reader umfasst Vorträge und Diskussionsbeiträge von der dritten Augsburger Konferenz der Universität Augsburg im Oktober 2008. Die Beiträge, sämtlich in englischer Sprache geschrieben, streuen eine Vielfalt an Blüten im Kontext systemischen Denkens und Handelns, fokussiert auf Managementthemen bzw. Leadership. (Neben einem Autorenverzeichnis gibt es ein weiterführendes Literaturverzeichnis.)

Wer sich mit der Gesamtthematik bereits näher beschäftigt, wird zwar auf viel Bekanntes stoßen und ab und zu einen Stoßseufzer hören lassen mit der Konnotation „nun, das ist idealiter und in dem Allgemeinheits-, Abstraktionsgrad so prima wie inflationär vernommen“ – dennoch wird der aufmerksam Lesende, und sei es in Nebensätzen, zahlreiche frische Impulse für veränderte und verändernde Betrachtungs- und Ausdrucksweisen finden.

Die ersten drei Aufsätze erfreuen vor allen anderen theoretisch Interessierte. Sie widmen sich der historischen und konzeptionellen Herleitung, den Entwicklungsstufen und der Erläuterung dessen, was unter Komplexität verstanden wurde und wird und blättern einige Seiten zu Fragestellungen auf, die in der Folge in Unternehmen diskutiert werden sollten. Wie in einigen anderen Beiträgen auch, finden sich in diesen theoretischen Ausführungen „Prinzipien“, die – zeitweilig etwas inflätionär auftauchend – zu berücksichtigen bzw. anzuwenden sind, wenn man beispielsweise in der Führung Innovation auf Dauer stellen möchte (kontinuierliche Erneuerung).

Die weiteren Beiträge befassen sich mit dem mehr oder weniger „neuen Paradigma Leadership“ – etwa, indem es verwoben wird mit Ansätzen aus der Positiven Psychologie, Salutogenese, Appreciative Inquiry. Die Pointe dieser Konstellation nennt sich „Positive Leadership“ und besteht in der Verlagerung des Blicks: weg von der Defizit- und hin zur Ressourcen- und Zukunftsorientierung. (Für Therapeuten inzwischen eine vertraute, für Führungskontexte noch weniger übliche Aufforderung.) Weitere Facetten bzw. Korrelationen von Leadership werden mit klugen Überlegungen bedacht: Leadership und Individuum, Selbstorganisation, Persönlichkeit, Konflikthandhabung, Diversität.

Herausheben möchte ich zwei Aufsätze: Peter Schettgen stellt in Fragen einer konstruktiven Konfliktbehandlung zusammen: TZI, K. Berkels Ansatz und Haltung wie Praxis des Aikido. Ein außerordentlich lesenswerter Text, der nicht nur Zusammenhänge und wechselseitige Bezüge, Übersetzungs- oder Analogieimpulse herstellt, sondern durch eine ungewöhnliche Brille zu schauen einlädt, um Reframings vorzunehmen – sodass aus dem Feind oder Gegner ein Freund in der Auseinandersetzung werden kann.

Jene, die sich gern in der Tradition von Norbert Elias oder auch Michel Foucault sozial- und kulturhistorisch in soziologischer, sozialpsychologischer Ausprägung mit der wechselseitigen Beziehung, den Interdependenzen und korrelativen Prägungen von Organisation(smodellen) und Persönlichkeit(smodellen) und deren handlungspraktischen Folgewirkungen beschäftigen möchten, sei der Beitrag von Kurt Buchinger empfohlen. Er bietet eine fruchtbare Grundlage, auf der insbesondere wissenschaftshistorische und philosophische Debatten gedeihen können, die praktische Auswirkungen haben. So etwa könnte erfreulich kontrovers die Wirklichkeit 2. Ordnung ausgerufen und debattiert werden, welche Grundannahmen und Axiome den Ausführungen und Thesen des Autors zu Grunde liegen, ferner: historisch: welche Indizien dafür bzw. dagegen sprechen, das, was an persönlichen Zumutungen als „neu“ proklamiert wird, neuartig im Sinn von erstmalig vorliegt und was das Resultat oder die Resultate dieser Erkundungen für den gegenwärtigen Diskurs (folglich auch für Praxis der Beratung, der Unternehmensführung, der Personalentwicklung) bedeutet. Es könnte ja sein, darf ich fröhlich auf die bunte Wiese werfen, dass das Gerede um das Neue primär dazu dient, Komplexität via Exkulpation zu reduzieren und sich selbst einen Freifahrtschein auszuschreiben: als Leader und als Persönlichkeit (alles neu, alles frisch, daher unvorhersehbar, vage, unvertraut, trial and error als legitime Strategien, Fehler und Irrtümer sind Lernchancen, keiner darf bestraft werden; Persönlichkeit als Chamäleon ist die einzig sinnvolle, opportune, Überleben sichernde Möglichkeit, sich selbst „neu“ zu konzipieren, daher Verlässlichkeit ein anachronistischer Wert …)

Der Reader sei all jenen empfohlen, die Freude an der intellektuellen Beschäftigung haben, sich als „wissensdurstig“ bezeichnen und gern lebhaft wie kontrovers diskutieren! In diesem Sinn: fruchtbare Turbulenzen!

Dr. Regina Mahlmann
www.dr-mahlmann.de
drmahlmann@aol.com

Dr. Regina Mahlmann