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Kon-Fusionen

Autor Clement, Ute
Verlag sonstige
Seiten 150 Seiten
ISBN 978 3 89670 767 3
Preis 29,00

Die international tätige Organisationsberaterin legt mit dem schmalen Band zweierlei vor: ein engagiertes Plädoyer für interkulturelle Offenheit und ein für Pragmatiker und Praktiker interkultureller Beratung sowie für Betroffene (Kulturreisende) sehr instruktives Buch, das unter anderem „Werkzeuge“ liefert, um in interkulturellen Kontexten die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, Fettnäpfe zu umgehen.

Das Plädoyer wird hergeleitet aus der unternehmerischen Wirklichkeit, die ausdrücklich der Referenzpunkt der Ausführungen ist: Interkulturalität gehört für KMUs wie für Großunternehmen zum Alltag. Die Grade unterscheiden sich, ebenso die Kontexte, in denen Angehörige verschiedener Kulturen einander begegnen und miteinander arbeiten. Die Botschaft von Ute Clement, fremden Kulturen offen und wohlwollend entgegen zu treten, kann der Leser kaum ignorieren; denn sie wird in wiederholten Wendungen immer wieder platziert und lassen diese Botschaft fast zu einer dringlichen Bitte werden.

Die Autorin legt den Fokus auf Praxis. Und dort liegt die Stärke des Bandes. Einführend erläutert Ute Clement Dimensionen, nach denen Kulturen kategorial unterschieden und abgetastet werden können. Diese Dimensionen haben basalen Charakter für die Praxis und werden als begriffliche, konzeptuelle Unterscheidungen in Workshops und Coaching angeboten, um interkulturelle Schwierigkeiten zu erfassen, zu antizpieren bzw. zu beheben. Besonders instruktiv sind diesbezüglich die Beispiele, die zum Teil eigener Erfahrung, zum Teil Erfahrungen anderer Personen und Gruppen entstammen. Die Beispiele führen vor, wie mit den Kulturdimensionen gearbeitet und welche Tools angewandt werden können. Erfahrene Berater, Trainer und Coaches erkennen in den Interventionsoptionen „alte Bekannte“, die via Analogieverfahren in den Zusammenhang von Interkulturalität gestellt werden. So etwa das Style Switching oder Übungsvarianten zu Selbst- und Fremdbild.

Konzeptuell gibt es unerfüllte Wünsche, die allerdings für den Praktiker zunächst nicht relevant sind. Sie können dies allerdings werden, sobald man ernst nimmt, wofür Ute Clement vehement wirbt: Verstehen wollen. Wer auf Verstehen gepolt ist, benötigt ein weniger plakatives Abhandeln von Kulturbegriff und –konzepten. Die Kurzdarstellungen geraten der Autorin gerade für jene Leser zu „schlicht“ (so bewertet Ute Clement andere Kulturvermittlungsansätze), die sich für die historische Entwicklung von Kulturbetrachtung interessieren (Kulturphilosophie, Ethnologie und ihre sprachanalytische Wende, Anthropologie) und zumindest dankbar wären, wenn sie auf weiter führende Literatur verwiesen würden. Auch die Grundlagen des von der Autorin gewählten „Kulturrelativismus“ hätten einige Bemerkungen, zumindest weiter führende Hinweise verdient. Dies aus zwei Gründen: Erstens gibt es konkurrierende Kulturentwürfe; zweitens gibt es kulturrelativistische Auffassungen in mindestens zwei einander ausschließenden Varianten. Die eine spricht – in der Tradition von Herder im 18. Jahrhundert und von Ruth Benedict, Edward Sapir, Benjamin Lee Whorf und Ludwig Wittgenstein im 20. Jahrhundert – von der Inkommensurabilität von Kulturen. Die andere nimmt eine Kommensurabilität an und verweist auf die ab Mitte des 20. Jahrhunderts empirisch nachweisbaren Universalien, die kulturspezifisch überformt werden, sowie auf die Illusion oder den Mythos einer „national reinen“ Kultur und damit auf die Vermischtheit von „Nationalkulturen“ (historisch nachweisbar). Beides ermöglicht Anschlussfähigkeit, Übergänge, Verbindung, Anbindung. Zudem gibt es Passagen im Buch, die die davor warnen, die fremde Kultur vollständig verstehen zu wollen. Das, so die Autorin, sei nicht möglich. Keiner kann den persönlichen ethnozentrischen Wurzeln entkommen, die eigene Kulturbrille einfach absetzen. Dies ist eine axiomatische Setzung, deren erläuterte Verortung in einem Kulturansatz durchaus dienlich wäre. Wenn Verstehen eine zentrale Variable ist, um interkulturelle Kompetenz zu erarbeiten, wären Hinweise in diese Richtungen konsequent, zumal sie interkulturelle Verständigung erleichtern helfen können (bis hin zum Konzept der transversalen Kultur).

Irritierend auch, dass Ute Clement zwar häufig betont, es gebe keine nationalen Kulturen wie „die Kultur der Deutschen“ oder „die Franzosen“. Vielmehr müsse man differenzieren von national zu regional bis zu Branchen- und Expertenkulturen. Dennoch spricht sie in irritierender Frequenz davon, „bei den Deutschen“ sei es so-und-so, „die japanische Kultur“ zeige dies und das, etc.; selbst das eine und andere Klischee findet sich.

Dass selbst eine interkulturell so sensible und kundige Autorin sprachlich zu dem greift, was sie expressis verbis mental ausschließt, nämlich stereotype Denk- und Sprechweisen, dokumentiert auch dies: dass es für unsere Sprache äußerst diffizil, wenn überhaupt möglich ist, ein solches Denken und Schreiben zu verhindern. Kritisch wird dies dann, wenn beim Leser der Eindruck entsteht, die plakative Formulierung stehe für eine Sichtweise. Und zuweilen – in der Anwendung der Kulturdimensionen – fragt sich der Leser, in welchen Kontexten und in Bezug auf welche Generationen die gewählten Kulturdimensionen noch hilfreich anwendbar sind und ob es sinnvoll wäre, die Dimensionen eingedenk der fortgeschrittenen Internationalisierung sowohl innerhalb von Ländern als auch Unternehmen zu überarbeiten. Etwa: Die Verbreitung zumindest einer groben Kenntnis dessen, was unter ganzheitlicher, systemischer Betrachtung von Unternehmenssituationen und Führung läuft, gehört eher einem „High-context“-Denken an – auch wenn es von Personen geleistet wird, deren berufliche Sozialisation ein „Low-context“-Denken befördert. Dem Praktiker kommen solche Gedanken spätestens dann, wenn er Klischees über Deutsche, Franzosen, Chinesen und Angehörige anderer Kulturen liest.

Das „Metamodell“, das die Autorin anbietet, hat hohen praktischen Wert. Es begnügt sich nicht mit Listen von Ge- und Verboten, sondern setzt am Bemühen an, die andere Kultur verstehen zu lernen. Dazu gehören Vorinformationen (Geschichte, Religion, Politik etc.) und persönliche Erfahrungen sowie das Beherrschen interkultureller Tools (Style Switching, Gemeinsamkeiten finden, eigenes Lernen steuern). Das Metamodell soll unter anderem zu einer Metasprache führen. Das tut es freilich nicht, aber es schafft die Möglichkeit, sich sprachlich über Sachverhalte zu einigen, die die Beteiligten aus der Vogelperspektive erst wahrnehmen können, verbunden mit Perspektivwechseln. Insofern ist es ein praktisch nützliches und wertvolles Modell. Übrigens betont die erfahrene Beraterin, dass nicht jeder Konflikt in interkulturellen Teams kultureller Natur ist und verbindet dies – exemplifiziert anhand eines Beispiels – mit der Empfehlung, sehr genau zu prüfen, ob Störungen in der Zusammenarbeit primär kulturellen Ursprungs sind oder anderen, etwa strukturellen, Quellen entspringen, die mit kultureller Diversität nichts zu tun haben.

Der „kulturelle Reisepass“ am Schluss dieses lesenswerten und instruktiven Buches sowie die weiteren Anregungen fassen noch einmal das Wesentliche zusammen und ermuntern dazu, sich breit vorzubereiten, um den Fächer der persönlichen Handlungsfertigkeiten zu erweitern.

Das schmale Buch passt in jede Akten- und größere Handtasche und eignet sich als Reisebegleiter!

Dr. Regina Mahlmann, www.dr-mahlmann.de

Dr. Regina Mahlmann