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Kapital

Autor John Lanchester
Verlag Klett-Cotta/Tropen
ISBN 978-3-978-360-893985-9

Das ist fast schon „Faction“, eine Kombination aus Unterhaltungs- und Sachliteratur. Aufgearbeitet hat der Autor Geschehnisse und Folgen der Finanzkrise: Wie wird wer wofür verantwortlich gemacht und wer kann sich aus der Affäre und damit aus dem Geschäftsleben zurück ziehen? Subjektiv leiden gerade die Großverdiener am meisten unter Verlusten, während es „dem kleinen Mann“ nun noch übler geht … In der Pepys Road im Londoner Süden leben vor allem zu Geld Gekommene – doch am Rande auch „normale“ Menschen, in der Melting-Pot-Mischung. Wer Migrations-Hintergrund mitbringt, kann dann schon mal in die Terrorismus-Mühle geraten und kommt nur mit viel Mühe wieder heraus. In die Konsum-Mühle ist Roger Yount mit seiner Familie geraten: Die Frau ist geradezu manische Käuferin, die Zeichen der Zeit aber gleich überhaupt nicht wahrnimmt. Und wenn dann aus erwarteten 1 Million Pfund Bonus ein solcher von gerade mal 30.000 wird, sind manche Pläne perdu. Doch auf der Suche nach Glück sind auch die anderen Bewohner der Pepys-Road, ob lange ansässig (der eher aussterbende Einwohner-Teil, im Sinne des Wortes …) oder kurz dabei, wie etwa die senegalesische Fußballhoffnung Freddy Kamo mit Vater. Mitten in einer seiner Baustellen haust der polnische Handwerker Zbingniew, dessen Hang zu Frauen auch zu interessanten Verwicklungen führt – und Pläne auch bei ihm über den Haufen wirft. Und was steckt schließlich hinter den Nachrichten, die bald regelmäßig in den Briefkästen landet, in Form von Ansichtskarten, nämlich Ansichten des  jeweiligen Hauses „Wir wollen, was ihr habt.“? Steckt vielleicht doch ein Künstler dahinter, der noch zu erwähnen wäre? Letztlich ist vieles anders, als man denkt – und kommt auch so daher. – Schön der Titel, der natürlich bewusst an Karl Marx erinnern soll, dessen Leben und Schreiben sich ebenfalls an Ort und Stelle des Romans ereignet hat: London. Finanz-Dreh- und Angelpunkt, ob nun ohne Shard oder neuerdings mit ihm … Fast 700 Seiten voller Ironie und britischem Witz (ja, tatsächlich andeutungsweise schwarzem Humor). Ein Metropolen-Panorama hat ttt den Roman genannt, „mit spöttischem, aber auch teilnahmsvollem Blick.“ (U4) Erzählt von einem, der einst in Hamburg geboren wurde, im Fernen Osten aufgewachsen ist, um schließlich in England zu landen, u.a. als Restaurant-Kritiker für den Observer: Sein scharfer Blick wird in diesem Opus Magnum gut erkennbar … Mit viel Einblick in die Zentralen der Finanz-Transaktionen, ihr Manipulieren und Augenverschließen vor crucial moments, so lange alles gut geht. Doch, wehe sie sind los gelassen …

Hanspeter Reiter