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Jung im Kopf

Autor Korte, Martin
Verlag DVA
ISBN 978 3 04434 1

Das Buch hat die zweite Auflage insofern „verdient“, als der Autor (mit seiner Mit- oder Zuarbeiterin Gaby Miketta) nicht nur mit zahlreichen Vorurteilen aufräumt, die rund um das Thema Alter und Altern seit Generationen und wider inzwischen besseren Wissens bis in die Gegenwart in den Köpfen, auch von Weiterbildern und Personalern, herumspuken und ihr Unwesen treiben, sondern sie auch herleitet, nachvollziehbar macht, wie es zu ihnen gekommen ist, und – selbstverständlich – korrigiert. Das geschieht am Leitfaden neuronaler Wandlungen und einer Art ethischen Leitfadens: Martin Korte will Alter und Altern als eine von anderen Phasen des Lebenszyklusses begreifen und darstellen und den Nimbus des Verfalls abschaben.

 

Der Autor belegt und erläutert in verschiedenen Zusammenhängen, dass Alterungsprozesse, auch und vielleicht gerade die des Gehirns, hochgradig individuell ablaufen. Zwar gibt es – Stand heute – Universalien auch in den alterungsbedingten Hirnveränderungen (genetisch, biologisch, psychologisch, sozio-ökonomisch bedingt). Jedoch determinieren sie nicht zu speziellen Veränderungen in einer Altersphase. Sowohl im laufenden Text als auch in einem Extra-Kapitel nennt Martin Korte persönlich beeinflussbare Kontextfaktoren, die unerwünschte Hirnalterungserscheinungen wie Vergesslichkeit verzögern, verhindern, erschweren und das „Jung im Kopf“- Bleiben ermöglichen. (Teilweise plakativ geratene Abschnitte, deren Aussagen zudem nicht ganz unbestritten sind, stören bei alldem kaum. Etwa dort, wo es um den Mangel von Älteren geht, Aufmerksamkeit zu steuern und zu halten; dort erwähnt er leider nicht die Forschungen, Befunde und Alltagserlebnisse von jungen Menschen, die eben dazu gerade nicht/ kaum/ vermindert fähig sind.) Er differenziert Alternsprozesse auch nach dem „Ort“ oder Medium, etwa biologisch, kognitiv, und nimmt dem Altern den unangenehmen Duft des Verwesens, indem er zusdem unterstreicht, dass grundsätzlich und von Geburt an die Lebensphasen, die Menschen durchlaufen, immer auch Phasen der Gehirnveränderung und also auch der –alterung sind (häufig: phasen-adäquate).

 

Kurze Aphorismen aus Literatur und Philosophie zu Beginn jedes Kapitels und etwas längere, grau unterlegte und thematisch passende Gedankenskizzen innerhalb der Kapitel führen nicht nur in den Kerngedanken ein, sondern gewinnen dem Kapitelthema eine besondere, zuweilen unvertraute, humorvolle, geistreich-philosophische Perspektive ab.

 

Der Professor für Neurobiologie an der TU Darmstadt lässt es sich selbstverständlich nicht nehmen, dem Leser einen Über- und Einblick in die Hirnentwicklung zu geben – stets mit Fokus auf das Sujet Altern und Alter (Anatomie, Neurochemie, Funktionalitäten, Plastizität, Gesundheit und Erkrankungen). Dies geschieht sachlich und belegt mit Experimenten, Laborforschung, Klinischen Studien und auch mittels Geschichtchen (die dankenswerterweise nicht dominieren). Fachkompetenz und Ethos von Martin Korte diktieren ihm auch bei seinen Ausflügen in (Senioren-) politische Gefilde die Feder (besonders: „Rezepte für eine alternde Gesellschaft – ein Plädoyer“).

 

Sein Engagement für ein „junges Altern“ im Sinn eines hohen Selbstwertgefühls, lebendigen Miterlebens, freudvollen Lernens, einschließlich der von ihm betonte (leider bei jungen Menschen, wenn auch aus anderen Gründen, reduzierten) Fertigkeit zu selektiver Aufmerksamkeit, kognitiver Steuerung von Wahrnehmungsprozessen und Denken – sein Einsatz für ein gesundes und lebensdienliches Gehirn und eine eben solche Lebensführung, das und die Freude am Leben gewährleisten, gibt diesem leicht lesbaren und dennoch informativen Buch (plus Hinweis auf ein ausführliches Literaturverzeichnis zum Thema Altern) und eine charmante Note.

Hansper Reiter