Horcynus Orca
Autor | Stefano D´Arrigo |
Verlag | S. Fischer |
ISBN | 978-3-100-15337-1 |
Ein Opus von fast 1.500 Seiten, natürlich mit Leseband, das zum Epos geraten ist – jedenfalls viele Voraussetzungen dafür mitbringt: Die Länge an sich – verschachtelte Stränge – Anklänge an Bekanntes der Weltliteratur – Schicksale von Menschen „wie du und ich“, verknüpft mit einflussreichen Giganten… Die Orca, der Wal, spielt seine zentrale Rolle, womit die Geschichte schon mal mit Hermann Melvilles Moby Dick zu tun bekommt – und vielleicht auch mit ein weniger epischen, doch ähnlich machtvollen Stück Weltliteratur: Der Alte Mann und das Meer von Nobelpreisträger Ernest Hemingway. Eingeführt durch „die Feren“, althergebracht schlicht „Delfine“ genannt, wird er zu eben deren Opfer. Und motiviert ´Ndrja Cambría zu einem Tun, das zu seinem Verhängnis wird … „Zu entdecken: Ein vergessenes Meisterwerk, eine moderne Odyssee, ein grandioses Meeres-Epos. Die Landschaften um die Straße von Messina bilden die Brücke zwischen den Mythen der Antike und der Gegenwart. Hier, zwischen Skylla und Charybdis, hörte Odysseus den Gesang der Sirenen. An genau diesen Ort, sein Zuhause, strebt der Held von Stefano D’Arrigos Meisterwerk ›Horcynus Orca‹, dem letzten großen unentdeckten Roman der Moderne, der nur mit Joyce, Kafka, Musil, Proust zu vergleichen ist. D’Arrigo bannt diese ganze Welt in nur vier Tage: Ein 1943 nach dem Zusammenbruch der Marine heimkehrender Matrose erfährt, was der Krieg aus seinen Menschen gemacht hat. Eine geheimnisvolle Frau hilft dem Fischer ohne Boot über die Meerenge, aber er muss erfahren, dass jede Heimkehr vergeblich ist, wenn der Tod das Ruder führt.“ Soweit der Verlag. Es geht um den Tod – und es geht um „die Liebe“, um Sex, um Verführen à la Sirenen. Und die eine, von der Held ´Nrdrja (eigentlich: Andrea(s) …) sich doch verführen lässt, heißt auch noch so: Der Autor spielt mit den Namen, stellt Bezüge zu klassischem Gedanken- und Erzählgut her, verlässt auf diese Weise Metaphorisches, um in Onomatorisches (?) zu entschwinden. Ergo lesbar auf verschiedenen Ebenen, unterschiedlichen Räumen, variierenden Strängen. „Vierzig Jahre nach dem Erscheinen ist es Moshe Kahn gelungen, den lange als unübersetzbar geltenden Roman zum ersten Mal in eine andere Sprache zu übertragen. Er hatte es sich zur Lebensaufgabe gemacht, für das sizilianische Italienisch mit seinen bildstarken und metaphernreichen Dialekten und erdigen Phonemen eine deutsche Entsprechung zu finden, die den großen Wurf des Romans, seine sprachliche Finesse und seine weiten Anspielungsräume lebendig werden lässt. Eine Glanztat.“ Wie der Übersetzer selbst sein Tun erlebt hat, wie er sich noch zu Lebzeiten des Autors mit ihm direkt im Dialog auf dieses Übertragen in eine andere Sprachwelt vorbereitet hat, bis endlich sich ein deutscher Verlag dafür gefunden hat, das erläutert er in einem ausführlichen Nachwort. Damit wie auch mit seiner editorischen Notiz zu Sprachlichem (ver)führt der Übersetzer (hier besser. Ko-Autor?!) seine Leser zu neuen Einblicken und Blickwinkeln: Eine durchaus schwierige Lektüre, die „dennoch“ auch in den langen, verworrenen wie verwirrenden Passagen spannend bleibt, will sagen: den Leser hält. In einem Spannungsfeld des ausklingenden Zweiten Weltkriegs, im Zentrum (auch) Mussolini, Anklingen des klassischen Konflikts zwischen Süd- und Nord-Italien (und gar die Inseln!). Menschen, um Harmonie ringend, doch ums Überleben auch gegeneinander kämpfend, doch zusammen haltend, sobald „der Feind“ auftaucht, hier: die Engländer. Das Meer (die Meere) als Nahrungs-Lieferant einerseits, verstörend gegnerisch andererseits (die Feren als Vernichter des Fisch-Bestands wie auch der Fischernetze) – anziehend wie abstoßend. Anders als bei Melville oder Hemingway gesehen und erlebt vom Land aus – sozusagen (metaphorisch) vom sicheren Hafen aus, der sehnsüchtig verlassen werden soll, einen anderen zu erreichen. Viel Lesestoff für eine Menge Nachdenken! HPR