Große Ambitionen
Autor | Evan Osnos |
Verlag | Surkamp |
ISBN | 978-3-518-42483-4 |
„Chinas grenzenloser Traum“ spielt metaphorisch mit der jahrzehntelangen Selbst-Einkesselung des Regimes (der Regime?) – und dem Sichöffnen, das Entwicklung ermöglichte: Wohlstand – Wahrheit – Glauben definiert der Autor als zentrale Aspekte, die zugleich die Überschriften der drei großen Kapitel bilden, kaum zu kontrollierende Sehnsüchte, die mit immer neuen Schüben an Kontrolle zu bändigen, die herrschende Riege zu müht. Mithilfe eines bunten Reigens an Porträts höchst unterschiedlicher Personen vermittelt der ehemalige US-Korrespondent einen breiten wie tiefen Einblick in das „Reich der Mitte“, der aktuelle Geschehnisse erst verständlich macht, siehe etwa das Börsen-Zocken („Die in China vorherrschende Haltung gegenüber Risiken …“, S. 120) oder den starken Drang des Urbanisierens. Den Rahmen bildet die Lebensgeschichte eines ehemals taiwanesischen Wirtschafts-Wissenschaftlers: „16. Mai 1976. Unter Lebensgefahr entfernt sich ein angesehener junger Offizier von der Truppe und wagt die Flucht über das Südchinesische Meer – doch er möchte sich nicht, wie so viele andere, aus der Volksrepublik China absetzen. Er will weg aus Taiwan. Lin Zhengyi ist davon überzeugt, ihm stehe auf dem Festland eine goldene Zukunft bevor. Die Geschichte gab ihm recht: Zhengyi profitierte vom rasanten Aufstieg Chinas und wurde zu einem weltbekannten Ökonomen. Erfolgsgeschichten wie diese sind aber nur eine Seite der Medaille. Wie in kaum einem anderen Teil der Erde prallen in China heute Erwartungen, Hoffnungen und Enttäuschungen aufeinander. Evan Osnos … sprach mit Glücksrittern auf der Jagd nach Reichtum, begleitete Künstler wie Ai Weiwei oder den Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo und wurde Zeuge einer neuen Spiritualität, die trotz der Herrschaft der Kommunistischen Partei gedeiht.“ (Klappentext) Geschickt nimmt der Autor den Leser mit auf eine Reise durch Land und Zeit, begleitet Personen teils über viele Jahre (acht Jahre war er vor Ort, integriert mit Familie in unterschiedliche Umgebungen), seien es ein autodidaktischer Englisch-Lehrer mit Aufs und Abs in seinen Träumen von Sprachschule und Sprachverlag oder ein stark nationalistischer Blogger, mal der Gegenentwurf zu den in internationalen Medien meist hervor gehobenen Dissidenten unterschiedlichster Coleur. Wie sie alle mit der alles beherrschenden Zensur umgehen (quasi ein andauernder Tanz auf dem Vulkan), ist ein wieder kehrendes Element der Erzählungen, wozu etwa die telefonischen Botschaften an den Autor selbst gehören, worüber zu berichten tunlichst zu unterlassen sei – auch er als Journalist ja Teil des Systems … So entsteht typisches US-amerikanisches Storytelling, mit vielen Dialog-Zitaten auch anonymisierter Gesprächs-Partner, verwoben in ein Kaleidoskop recherchierten Geschehens in Ballungsräumen wie „auf dem Land“, historische Schilderungen inklusive. Dabei greift Osnos bewusst plakativ bekannte „Ereignisse“ auf: Studentprotest Tiananmeng, Erdbeben-Katastrophen etc. Ein Sachbuch an der Schnittstelle von „faction“ zu „fiction“, zur Diskussion einladend, da nur bedingt Stellung beziehend: So gesehen, erfrischend objektiv, gerade für ein Buch, das in den USA erschienen ist. Und auch noch ausgezeichnet wurde, immerhin mit dem National Book Award 2014. Höchst lesenswerte mehr als 500 Seiten! HPR