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Geheime Quellen

Autor Donna Leon
Verlag Diogenes
ISBN 978-3-257-07099-6

„Commissario Brunettis neunundzwanzigster Fall“ deutet das „Jubiläum“ schon an… Der 30. mag hoffentlich noch kommen (die Autorin ist ja erst 78 …). Und im Laufe der Jahre (ääh, Jahrzehnte!!) ist die Schreibe immer literarischer geworden: Natürlich ist auch dieser ein absoluter Lokalkrimi, doch die eigentliche Handlung ist im Grunde wieder kehrend: Ein Umwelt-Skandal, wie sich früh andeutet – und das klassische Personal-Portfolio, inzwischen um die Kollegin Griffoni erweitert. Was einen Extra-Blick aufs durchaus chauvinistische Verhalten der Venezianer beinhaltet, gegenüber Süd-Italienern – oder gar Neapolitanerinnen…

Vieldeutig
…schon der Titel: Natürlich geht´s um Wasser, das verschwendet wird (etwa von den Barista, die den Hahn dauerhaft laufen lassen), wogegen Brunettis Tochter verbal wie auch agitierend „kämpft“ (ihre Rolle als eher aufständischer [nun Ex-]Teenager kennt Leser schon, im Gegensatz zu ihrem Bruder…). Auch um Geld-Quellen geht es, schon fast erwartbar, in der alltägliche Korruption… Doch zur Handlung – das ist sie, die Geschichte, kurz gefasst: „Als Vittorio Fadalto in einer Sommernacht auf dem Rückweg von der Arbeit mit dem Motorrad verunglückt, glauben alle an einen Unfall. Nur nicht seine Frau, die Brunetti um Hilfe bittet. Wollte tatsächlich jemand Fadalto etwas Böses? Oder sind das nur Hirngespinste seiner schwerkranken Frau? Brunetti braucht all seine Intuition – und enthüllt schließlich ein Verbrechen größeren Ausmaßes mit Folgen für die Gewässer des ganzen Veneto.“ Voila, was ihn zuletzt wieder einmal vors Dilemma stellt: Recht oder Gerechtigkeit? Zumindest anteilig schafft er es, beides in Einklang zu bringen, wie Leser mehr oder weniger erleichtert nach wie immer spannenden wie unterhaltsamen mehr als 300 Seiten zur Kenntnis nimmt.

Der Charakter Brunetti
… steht im Zentrum des Geschehens, wie gewohnt. Immerhin wird die Story ja aus seiner Perspektive erzählt, mit gelegentlichen Seitenschlenkern fürs Verständnis der Leser. Vor allem seine Gedanken sind es, die schmunzeln lassen – das meinte ich vorhin mit „Schreibe“. Beispiele? Ok – etwa dies: „An den Wänden Reproduktionen von Gemälden … Die Menschen auf dem Floß taten im leid: Den Schiffbruch hatten sie überlebt, nur um bis an ihr Lebensende auf dieses Sofa starren zu müssen.“ (S. 192)  … Oder dies, Brunetti mal wieder die Lektüre alter Griechen genießend, ein Connaisseur durchaus also: „Diesen Agamemnon, den Schwager von Helena und Anführer der griechischen Streitkräfte gegen Troja, hatte Brunetti noch nie leiden können.“ (S. 208f. – Leser eruiere selbst die Gründe!) Dazu Bezüge zur Gegenwart, wie Donna-Leon-Fans das von Ihrer Autorin erwarten dürfen (S. 239): „Früher fürchtete man den Winter, wenn überalle in der Stadt die Schornsteine qualmten und nur selten ein wenig Regen die Partikel aus der Luft spülte. Jetzt waren die Sommer viel schlimmer … Luft, die längst nicht mehr frisch war, sondern verpestet von den Schloten der erschreckend häufig ein- und ausfahrenden Kreuzfahrtschiffe…“. Auch das MO.S.E.-Projekt wird erwähnt, mit verbal gerunzelter Stirn (bewegliche Flut-Tore zum Schutz Venedigs vor Überschwemmungen – erinnert a bissal an den Flughafen BER in Deutschland…). Alles in allem jedenfalls erneut eine Art Liebes-Erklärung an die La Serenissima (wenn auch durchaus kritisch), wenn die Autorin sie auch schon länger verlassen hat… So gesehen, auch die passende Lektüre vor oder nach einer Venedig-Reise! HPR www.dialogprofi.de www.gabal.de

Hanspeter Reiter