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Gegen die Welt

Autor Jan Brandt
Verlag sonstige
ISBN 978-3-8321-9628-8

Ist das nun ein „klassischer Entwicklungsroman“, der das Erwachsenwerden (oder zumindest Juvenilwerden) des Daniel Kuper erzählt? Oder ist es „ein großer deutscher Roman: über die Wende in Westdeutschland, über Popkultur in der Provinz und über Freundschaften, die nie zu Ende gehen“, wie der Schutzumschlag verspricht (oder droht)? Phasenweise ist dieser 900-Seiter auch dies: Fantasy/Science-Fiction, Schreibspielerei (seitenweise Gedanken ohne Punkt ohne Komma, seitenweise Aufzählung von Beobachtungen / Personal des Romans / Gegenständen, etwa in der väterlichen Drogerie des Daniel K.) und Anklang an große Literatur (Kapitel mit Parallel-Geschehen, dann sogar mit Ich-Erzähler; S. 214 – 369; das kannte ich bis dato nur von einem portugiesischen Schriftsteller, auf dessen Name ich partout nicht komme – dort phasenweise sogar drei Perspektiven parallel: der Autor in seiner Figur; die Reinigungsfrau als ? Geliebte; deren Geliebter). Dazu spielt Brandt mit diverser Literatur, was zu pubertärer Auseinadersetzung mit der Welt passt, ob mit oder ohne Deutsch-Unterricht, siehe z.B. S. 468f.: „Wir haben die Bibel immer verkehrt herum gelesen! In der Sprache der Mörder! Die, die sie richtig herum lasen, haben wir versklavt und vergast! Im Lateinischen steckt die teuflische Botschaft! Über Jahrhunderte sind wir den falschen Propheten gefolgt. Nicht das Neue Testament ist für uns entscheidend, sondern das Alte, nur in umgekehrter Reihenfolge.“ Ins Spiel kommt auch der „Bibelcode“ … Auch „Mein Kampf“ ist eingebaut, Rechtsradikale spielen ihre eigene Rolle. Und Daniel K. wird immer mehr zum Opfer … lamm?! Eine ganze Reihe Tote kommen vor und letztlich um, aus diesem Freundeskreis, auch durch Selbsttötung. Unter anderem durch Vor-den-Zug-Werfen: die Perspektive des betroffenen Zugführers ist übrigens jene des oben erwähnten Ich-Erzählers: Auch er ein Opfer! Unterm Strich stellt sich die Frage, ob hier wirklich Daniel K. „gegen die Welt“ steht oder vielmehr die Welt gegen Daniel K.: Die Kumpels, die Familie (vor allem: der Vater) und das weitere Umfeld. Eine Stärke des Romans ist, dass vieles angedeutet wird und später aufgelöst, das eine oder andere allerdings durchaus im Dunkel bleibt. Womit Leser die Chance hat, für sich zu interpretieren und Geschichten (in der Geschichte) fortzuspinnen. Letztlich doch ein Entwicklungsroman, der phasenweise sogar an den „Club der toten Dichter“ erinnert, allerdings weniger der auftauchenden Lehrerfiguren wegen …

Hanspeter Reiter