Gefühle lesen
Autor | Ekman, Paul |
Verlag | sonstige |
Seiten | 396 Seiten |
ISBN | 9 783827 425683 |
Preis | 14,95 |
Kennen Sie die US-amerikanische Serie „Lie to me“, die einige Male auch in der Bundesrepublik Deutschland ausgestrahlt wurde? Jedenfalls arbeitete an dem Drehbuch Paul Ekman mit, der seit Jahrzehnten auf dem Gebiet des Gefühle-Erkennens arbeitet. Seine Arbeit fließt u.a. in praktische „Erkennungsdienste“ ein, so etwa auf einigen US-amerikanischen Flughäfen.
Paul Ekman widmet sich, belegt durch beeindruckende Forschungen in unterschiedlichen Kulturen, insbesondere jenen Gefühlen, die und deren mimische und gestische Ausdrucksweisen als universal gelten, z.B. Trauer, Freude, Zorn, Angst. In der Forschung geht er von zwei dominanten Thesen aus: Es gibt phylogenetische Prädispositionen, die sich als „automatische Bewertungsmechanismen“ manifestieren, emotionale Auslöser, die sich bei jedem Menschen finden und die unkontrollierbar rasch ablaufen. Zudem gibt es phylogenetisch prädisponierte und in Abhängigkeit von individuellen, sozialen und kulturellen Eigenheiten gefärbte Ausprägungen der universalen Grundgefühle. Erfahrungen sind „Geschehnisse“, die „zu den universalen auslösenden Ereignissen hinzugefügt“ werden und „das Spektrum, auf das die automatischen Bewertungsmechanismen ansprechen“ erweitern (33). Die biographischen Besonderheiten haben Unterschiede im Gefolge, die Menschen in verschiedener Weise „anfällig“ machen für die Macht von Gefühlen. Biographien gebären Partikularitäten, sodass der eine Mensch rasch und intensiv, ein anderer gleichmütig(er) auf emotional bewegende Erlebnisse oder Beobachtungen reagiert. Diese Thesen diskutiert Ekman und integriert auch kritische Stimmen, denen er respektvoll und argumentativ begegnet.
Die Kernfragen ergeben ein Fragebündel: Woher kommen Gefühle? Warum haben wir sie? Wie äußern sie sich? Was können wir, wenn schon nicht komplett kontrollieren, so doch immerhin beeinflussen – zumindest bezüglich jener Emotionen und emotionaler Handlungen, deren Folgen wir nicht wollen oder bereuen? Wie können wir das tun? Woran erkennen wir Gefühle bei anderen Menschen – und wie können wir dies fruchtbar machen, um empathisch und konstruktiv miteinander umzugehen, auch im Konfliktfall?
Der Autor schildert in seinem Buch, nicht nur emotionale Ausdrücke, an denen man die eigene Empfindsamkeit und Fertigkeit, Gefühle zu lesen, erproben kann, sondern fundiert seine Ausführungen mit Forschungen, eigenen und denen anderer Wissenschaftler. Beispiele, Episoden aus seinem eigenen Leben und immer wieder Erörterungen, die seine humanistische Herkunft zeigen, in denen er seine Thesen ausbreitet und in denen er den Leser zu gewinnen trachtet, sich ernsthaft und wohlwollend mit dem allgegenwärtigen Thema „Gefühle“ zu befassen, rufen eine Lektüreeinstellung voller Sympathie hervor.
Die ersten vier Kapitel beziehen den Leser ein in einen Rundblick „Emotionen quer durch die Kulturen“ und informieren darüber, wann wir emotional reagieren, ob und inwiefern wir emotionale Auslöser bzw. das Ausgelöstsein beeinflussen können sowie was emotionales Verhalten auszeichnet. Wer vermutet, dass er mit Plattitüden belästigt wird, wird positiv überrascht sein und sich darüber freuen können, wie differenziert diese Fragestellungen ausbuchstabiert werden können. Die Kapitel 5 bis 8 bringen Gefühlspaare näher: Trauer und Verzweiflung, Ärger und Überraschung, Ekel und Verachtung. Das neunte Kapitel führt in diverse positive Gefühle ein, das zehnte, in der 2. Auflage neu ergänzte, befasst sich mit Lügen. Auch diese Schilderungen verzichten auf in zahlreichen Ratgebern formulierten Floskeln und Klischees. An Beispielen und Forschungen faltet der Autor die Spezifika der Gefühle aus, erläutert, mit welcher Haltung und welchen Aktionen wir jene Gefühle bei uns selbst sowie bei anderen erkennen lernen können und gibt mit dem Engagement eines mit seinem Forschungsgebiet äußerst vertrauten und streckenweise „altersweisen“ Experten Hinweise darauf, wie wir das Wissen und Können im Alltag verwenden können.
Das Lesen dieses Buches lohnt sich in jedem Fall: für jene, die eher an grundlegenden Gedanken und Forschungen interessiert sind (ein Literaturverzeichnis bedient weiter führende Neugierde) und auch für jene, die eher erlebnis- und praktisch orientiert sind (sie profitieren von Erzählungen, Beispielen, Übungen).
Und falls „Lie to me“ noch einmal ausgestrahlt werden sollte: Sie werden die Serie mit veränderter Sensibilität und Aufmerksamkeit sehen!
Dr. Regina Mahlmann
www.dr-mahlmann.de, drmahlmann@aol.com