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Explosion des Wissens

Autor Peter Burke
Verlag Wagenbach
ISBN 978-3-80313-651-0

Der Originaltitel weist darauf hin: Bei diesem einer Schatztruhe ähnelnden Buch handelt es sich um den zweiten Teil einer sozialhistorischen und soziologisch inspirierten Übersicht über Entstehen, Verbreiten und Verwerten von Wissen: A Social History of Knowledge, Volume II. Während Band 1 den Zeitraum 1500 bis 1750 umfasst, widmet sich der zweite Band um den Zeitraum 1750 bis 2000 mit dem Fokus auf „die westliche Welt“, einschließlich Russland und gelegentlich Lateinamerika. Ziel ist es, sozial- und kulturhistorisch „ein großes Bild zu präsentieren“, verbunden mit dem Anspruch, den Spezialistenblick zu überwinden.

Der Streifzug gliedert sich in drei Etappen: Wissenspraktiken (Sammeln, Analysieren, Verbreiten, Anwenden); Der Preis des Fortschritts (Wissen verlieren und teilen) und Eine Sozialgeschichte in drei Dimensionen: Georgraphien, Soziologien, Chronologien des Wissens.

Hinter den harmlosen Begriffen der Unterkapitel des ersten Kapitels verbergen sich überraschende Einsichten, die durch die Differenzierung der Oberbegriffe in der Praxis zustande kommen. Etwa: Wie wird gesammelt? In welchen Formen wird Wissen organisiert und verbreitet? Wie wird Wissen durch wen infolge welcher Intentionen angewendet?

Das zweite Kapitel konzentriert sich auf Fragen des Wissensverlustes und des Teilens von Wissen: Was führt zu Verlust? Um welche Verluste geht es? In welchen Kontexten wird Wissen „verlegt, vernichtet oder verworfen“? Wie ist Wissen zugänglich? Wie erlangt man „Information über Informationen“? Wie wird dies zu Wissen? Und: Wie wird Wissen so organisiert, dass es zugänglich ist? Von wem wird dies getan, wie und wem ist es zugänglich? Welche Bedeutungen hat dabei die Wandlung von der Universalität (Universalgelehrte) zu Disziplinarität, Expertentum (Spezialisten) und Interdisziplinarität?

Das dritte Kapitel führt aus den drei Perspektiven (geographisch, sozial, chronologisch) thematische Stränge anhand von Beispielen – etwa der Wissenschaftsgeschichte – zusammen, was bisher behandelt wurde. Im geographischen Teil geht es um „Mikroräume“ wie Städte, um Nationen/ Nationalisierung, Entnationalisierung und Globalisierung von Wissen, um Wissensmilieus, um Zentren und Peripherien, um geographisch verorteten Mainstream und Abweichung. In der sozialen bzw. soziologischen Perspektive diskutiert der Autor Fragen entlang von Schlagwörtern wie Wissensökonomie, Wissensgesellschaft, wissender Statt das Verhältnis von Wissen und seinem sozialen Umfeld (z.B. soziale Schichten) und dem politischen Kontext bzw. den jeweiligen Interessen in Kriegs- und Friedenszeiten In dem Unterkapiteln zur Chronologie des Wissens im Sinn von Veränderungen, also von Trends und Entwicklungslinien von Regionen und Disziplinen, entfacht beispielsweise durch Säkularisierung, Institutionalisierung, Professionalisierung, Technisierung, Mentalitäten und Praktiken (als Handlungsmuster).

Peter Burke erzählt oder referiert nicht einfach, sondern diskutiert Wechselwirkungen, Parallelitäten, wechselseitige Beeinflussungen von Entwicklungen rund um Wissen – enzyklopädisch in dem Sinn, dass Entwicklungen aufeinander verweisen, einander bedingen.

Die spannende Lektüre, deren Details sich kein Leser merken kann und auch keinesfalls muss, hinterlässt den Leser mit zweierlei: dem Wissen, ein Nachschlagewerk zur Wissensthematik zur Hand zu haben und dem Staunen darüber, welche Implikationen es hat, von Wissen zu reden.

Hanspeter Reiter, www.dialogprofi.de

Hanspeter Reiter