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Evolution und Kultur des Menschen

Autor Ernst Peter Fischer, Klaus Wiegandt
Verlag sonstige
Seiten 407 Seiten
ISBN 9 783596 187218
Preis 13,95

Dieser Reader vereint Beiträge aus unterschiedlichen natur- und geisteswissenschaftlichen Disziplinen – ein interdisziplinäres Projekt also, das sich dem 8. Kolloquium der Stiftung „Forum Verantwortung“ verdankt und kongruent zu dessen Botschaft steht.

Die Interdependenz von Biologie und Kultur, von biologischer und (sozio-) kultureller Evolution wird aus anthropologisch-archäologischer und biologisch-physiognomischer Sicht ausgeschritten (Kapitel „Menschwerdung“). Die Aufsätze der drei Autoren sind in nachahmenswerter Klarheit geschrieben und werden auch jene am Lesen halten, die sich für diese naturwissenschaftliche Seite „eigentlich“ weniger interessieren.
Diesem Kapitel folgen drei Beiträge, die „Sozialstrukturen“ zum Fokus ihrer Betrachtung der Wechselwirkung mit der biologischen Entwicklung des Menschen machen und die Entfaltung reproduktiver Strategien, Entwicklung von Hirn- und Lebensverläufen sowie den – auch in den Feuilleton-Seiten eine Weile populäre – „Großmutter-Effekt“ behandeln.
Daran schließt sich der Blick auf „Kulturelles“ an, vor allem auf ästhetische Komponenten der und in der menschlichen Welt. Die drei Autoren verweben Biologisches mit philosophischen Betrachtungen und führen den Leser in ungewöhnliche Perspektiven. Das Ästhetische als das Schöne in Form von Kunst und das Vergnügen daran erhält einen Nutzen, indem diese Frage nicht im Sinn der Soziobiologie, sondern im Sinn Evolutionärer Psychologie gestellt wird. Während erstere Menschen als „Fineßmaximierer“ (201) begreift, versteht die zweit genannte den Menschen als „Vollstrecker von Anpassungsleistungen“ oder „In-Gang-Setzer von Mechanismen“ (ebd.) und bahnt so den Weg zu einer Argumentation mit dem Titel „Survival of the happiest“. Überraschendes fördern die Ausführungen zu Tage, die Biologie und Darwins Ornament-Ästhetik in Wechselwirkung mit dem Kulturphänomen Mode stellen. Der dritte Beitrag befasst sich mit insbesondere der kognitiven Entwicklung des Menschen im Vergleich zum Affen.
In dem Kapitel „Besonderheiten“ findet der Leser Erörterungen zu dem Komplex Altruismus – Egoismus – Kooperation – Gemeinsinn, dekliniert am „Fall Klima“ und mit der provokativen These „Egoismus schafft Gemeinsinn“. Ein weiterer Aufsatz widmet sich der moralischen Bedeutung von Kultur aus evolutionstheoretischer Sicht sowie aus der einer memetischen. Entwicklung von Rechts, Ethik und Moral werden in diese Analogie genetischer und memetischer Entwicklung eingebettet. Meme sind seit Richard Dawkins sozusagen das mentale Pendant zu Genen, das Analogon. Der Autor argumentiert für die These „ Die Kulturgeschichte der letzten Jahrtausende beruhte in erster Linie auf einer Evolution der Meme vor dem Hintergrund eines weitgehend konstanten Genoms.“ (294). Der dritte Beitrag diskutiert, wie es zu Unterschieden der Geschlechter im Sinn von Sex und Gender kam und verwebt daher biologische mit soziokulturellen oder Prozessen der Sozialisation und Kulturisation.
Im Schlusskapitel „Handeln in Zukunft“ kommen zwei Autoren zu Wort. Der eine konzentriert sich auf Gewaltbereitschaft in Menschen („Soziologie der Gewalt“) und plädiert dafür, Gewalt nicht als Abweichung, sondern als „Inventar sozialer Handlungsmöglichkeiten menschlicher Überlebensgemeinschaften“ zu begreifen (371) und mit dieser Entdämonisierung und Entmoralisierung die Chance zu ergreifen, die Dialektik von Zivilisationsprozessen in gesellschaftliche Praxis einzubeziehen. Der zweite Aufsatz befasst sich mit der Frage, ob und inwiefern die menschliche Kognition wachsende Komplexität adäquat verarbeiten kann. Der Autor scheint optimistisch und setzt seine Hoffnung in „evolutionäre Prozesse“, die den „Menschen befähigen, sich in seinem kulturell-gesellschaftlichen Umfeld effizient zu bewegen.“ (401) Hübsch ist die Unterscheidung „effizient“ und „kompetent“ (ebd.): beides muss nicht konvergieren – und in der Tat verweist die Beschränkung der Hoffnung auf „effizient“ eher auf Überleben als Folge „richtigen“ Umgangs, weniger auf die Qualität, die „Kompetenz“ verspricht, einschließlich der immanenten Annahme von Freiräumen, Handlungsspielräumen, Wahlfreiheiten. Dieser Aufsatz dürfte erfrischende Kontroversen auslösen.

Das Buch zu empfehlen, ist angesichts der Fülle und Breite der Betrachtungen, der Heterogenität der Ansätze und des Spektrums des vermittelten Wissens nur noch eine eigentlich überflüssige Handlung. Falls Sie noch zögern sollten: Der Fluchtpunkt der Beiträge sind aktuelle, die Erde umfassende Fragestellungen und laden dazu ein, die Überlegungen in eine Richtung fortzuführen, die rettende Perspektiven anvisiert.

Dr. Regina Mahlmann
www.dr-mahlmann.de

Dr. Regina Mahlmann