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Etwas von der Größe des Universums

Autor Jon Kalman Stefansson
Verlag Piper
ISBN 978-3-492-05795-0

Eine „Familiengeschichte“, und zwar über ein Jahrhundert hinweg. Hin und her springend, mal in der Gegenwart, mal in den 1980-ern, mal noch ein paar Jahrzehnte früher.

Ein Rundumschlag zum Reinschmecken
Ein Verwirrspiel mit häufigen Übergängen zwischen den Kapiteln als Anschluss vom Einstieg in den vorigen „Abschluss“: „Am Beginn der Geschichte steht der Tod, doch in Wahrheit zelebriert dieser Roman das Leben: über mehrere Generationen hinweg wird von Ari und seiner Familie erzählt; von der Leidenschaft zwischen Mann und Frau, von verbotener Liebe, Gewalt, Kummer, Betrug und Bedrückung. In Aris Familie werden Glück und Unglück eben gleichermaßen von einer Generation in die nächste gereicht. Am vorläufigen Ende dieser Reihe steht Ari selbst, auf dem Weg zu seinem Vater, mit dem er noch eine Rechnung offen hat, bevor dieser stirbt.“

Alles Island oder was?
Ja, um Island geht es, quasi angeflanscht an diese Familien-Geschichte: „Jon Kalman Stefánsson vermag diese raue Schönheit des Lebens, die auch der isländischen Landschaft eingeschrieben ist, in seiner archaischen und ergreifenden und dann doch wieder vollkommen heutigen und humorvollen Prosa einzufangen wie kaum eine anderer Autor seiner Generation.“ Zu Recht hoch gelobt, weil die Sprache eine besondere ist, was auch mit eben ihr zu tun haben mag, der isländischen Sprache nämlich. Und an dieser Stelle ist natürlich auch der Übersetzer zu loben, der es geschafft, diese besondere Wirkung des Erzählerischen ins Deutsche zu transferieren, K.-L. Wetzig nämlich.

Spiel mit Neuro?
Der Autor lässt ab und an die Neurowissenschaften aufblitzen, um das Verhalten seiner Figuren zu erklären – oder zumindest zu hinterfragen. Siehe z.B. S. 176: „Es herrscht Aufruhr im präfrontalen Cortex. Jakob greift unter den Sitz, es ist die Großhirnrinde, der jüngste Teil des Gehirns, der seine Hand dorthin dirigiert, aber welches Hirnareal hat dafür gesorgt, dort einen Flachmann mit Wodka zu deponieren …?“. Ob das immer so hundertpro korrekt ist, doch eine interessante Volte des Schreibens jedenfalls! Eine andere Art vererbten Verhaltens kommt z.B. S. 268f. ins Spiel, das die Familie offenbar „auszeichnet“: „Er lief davon, weil Oddur Thorthur in dem Moment eine geknallt hatte, als Jakob die Gardine wegriss und Ari eine langte, etwas brüllte, seine Mutter schlug, dass sie gegen den Kühlschrank flog. Er floh vor diesem Erbe in seinem Blut …“, Ari nämlich. Und frei vom Bezug zur Hirnforschung, obwohl auch dort naheliegend, etwa zur Wirkung klassischer Musik auf Sigga, die ihr eigenes Schicksal hat, in dieser Familie, vom Stiefvater vergewaltigt (S. 348f.). Und die in diesem Kapitel auch hiervon berichtet: „Láki, gibt Sigga zurück, du hast genau zwei Hirnzellen, die eine, um dich zu prügeln, die andere, um an Sex zu denken. Ich hab drei, korrigiert er, die dritte, um dich im Arm zu halten. Da bleibt ihr die Spucke weg, darauf war sie nicht vorbereitet, und sie guckt Thorlakur an, als würde sie ihn zum ersten Mal sehen.“ Um dann mit ihm zu schlafen … (S. 341f.) Genug von den Auszügen, selbst lesen … HPR

Hanspeter Reiter