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Ein Hologramm für den König

Autor Dave Eggers
Verlag KiWi
ISBN 978-3-462-04518-5

Gerade vor ein paar Tagen hatte ich über das lateinamerikanische Genre der Crónika gelesen, war es in der SZ oder ZEIT: Im Grunde ähnlich der Dokufiction, die wiederum US-typische Romanform, die „wahre Geschichten“ aufgreift und sie ins Fiktionale bettet. Dieses Genre hat auch Eggers für sich „entdeckt“ und mit Romanen wie „Zeitoun“ verwirklicht, die Geschichte der amerikanisch-syrischen Familie, die im Nachklang zu Hurrikan Katrina unschuldig ins Visier der US-Geheimdienste geraten war. Und er selbst hat aus den Erlösen seiner Bücher Stiftungen gegründet, die dann seine (wahren) Geschichten wieder verlängern. Auch der derzeitige Kontext durch Edward Snowden´s Aufdecken der NSA-Spionage passt hierzu, nämlich unter dem Aspekt der offenbar damit verbundenen (jedenfalls: zu verbindenden) Industrie-Spionage: Alan Clay als amerikanischer Geschäftsmann zwischen Hoffen und Bangen, kurz vor dem Bankrott, jedoch mit der Chance auf einen Befreiungsschlag durch den sich abzeichnenden Großauftrag von König Abdullah, dessen geplante neue Stadt KAEC netterweise wie „cake“ ausgesprochen wird: Sein Stück von diesem „Kuchen“ will er sich holen, um sich damit zu sanieren. Typisch für die arabische Welt, wie ich höre und lese, müssen er und sein Team warten, Tag auf Tag, weil vereinbarte Termine einfach gecancelt werden. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit stellt sein Hirn Verbindung zu Vergangenem her, sei es seine Tochter Kit, der zu schreiben er immer wieder startet. Sei es seine(Ex-)Frau Ruby, sei es seine Business-Geschichte, stark verbunden mit dem (wahren) Schicksal des Fahrrad-Herstellers Schwinn, als Opfer der Globalisierung. Interkulturelles ist das Stichwort, auch zwischen Älteren und Jüngeren, nämlich ihm und seinem mitgereisten Team, das die Präsentation mit einem holografischen Gesprächspartner in London aufbauen soll und dies auch tut, gelingend übrigens (siehe S. 221f. etc.) – und es geht um mehr: Eben um Globalisierung zu Lasten (US-amerikanischer) einheimischer Industrie, letztlich zu Gunsten aufstrebender Staaten (siehe BRICS). Doch stellt sich auch hier die Frage nach „Henne und Ei“ … Der Autor hat übrigens selbst erst vor Kurzem in einer „Kehrtwende“ den Druck seiner Bücher in den USA im eigenen unabhängigen Kleinverlag aus China nachhause zurück geholt, die heimische Wirtschaft zu stützen. Ganze Passagen sind zugehörigen Themen gewidmet wie z.B. klassischem Verkaufen, gelernt von seinem Mentor (S.80f., mehrfach wiederkehrende Reminiszenzen folgen): „Und dann wandte er sich wieder der Tür zu und fing an, sich die Füße abzuputzen. Instinktiv trat die Frau ein paar Schritte zurück und öffnete die Tür weiter. Sie hatte Trivole und Alan nicht hereingebeten, machte ihnen aber Platz – einfach deshalb, weil Trivole angefangen hatte, sich die Füße abzuputzen.“ Und weiter die Kunden-Typologie à la Trivole, Sie werden Bedürfnisse z.B. à la Maslow (S. 87ff.) „Geld, Romantik, Selbsterhaltung, Anerkennung: Er hatte diese Kategorien auf alles angewandt … Alle Prinzipien passten …“. Typisch Verkäufer übrigens (als Klischee) auch, dass Alan Clay die wandelnde Witz-Erzählmaschine ist; neben vielen platten sind auch ein paar nette dabei, wenn Sie Ihr Repertoire auffüllen möchten J … – Die Übersetzer annähernd aller Eggers-Werke sind Ulrike Wasel und Klaus Timmermann – ihn kenne ich übrigens durch einige seiner Bücher, u.a. Reiseromane, was ihn für die integrierte „Unterwegs-Stimmung“ dieses Romans absolut prädestiniert … HPR

Hanspeter Reiter