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Die Wand

Autor Marlen Haushofer
Verlag ullstein
ISBN 978-3-548-60571-5

„Marlen Haushofers Hauptwerk“ titelt die Rückseite. Spät „entdeckt“, wenn auch Trägerin eines österreichischen Literatur-Preises. Wirksam erst nach ihrem Tod (1920-1970)… Bei der Lektüre fühlte ich mich an (mindestens) zweierlei andere Bücher erinnert: Einmal an Stephen Kings „Die Arena“ (or. „under the dome“ = unter der Kuppel) – und an des (Pseudonym) A. Th. Sonnleitners Jugendbuch-Trilogie „Die Höhlenkinder“. Hier wie dort geht es jeweils um auf sich gestellte, von der Außenwelt abgeschnittene Personen. Das ganz Besondere von „Die Wand“: eine Einzelperson…

Einsiedlerin
…wider Willen, so ließe sich die Situation der (unbenannten) Frau definieren. Denn das ist ihr widerfahren – und darüber schreibt sie ihren Bericht: „Eine Frau will mit ihrer Kusine und deren Mann ein paar Tage in einem Jagdhaus in den Bergen verbringen. Nach der Ankunft unternimmt das Paar noch einen Gang ins nächste Dorf und kehrt nicht mehr zurück. Am nächsten Morgen stößt die Frau auf eine unüberwindbare Wand, hinter der Totenstarre herrscht. Abgeschlossen von der übrigen Welt, richtet sie sich inmittten ihres engumgrenzten Stücks Natur und umgeben von einigen zugelaufenen Tieren aufs Überleben ein.“ Dieses eine Zitat mag die klare und dennoch poetische Sprache der Autorin illustrieren: „Verdutzt streckte ich die Hand aus und berührte etwas Glattes und Kühles: einen glatten, kühlen Widerstand an einer Stelle, an der doch gar nichts sein konnte als Luft. Zögernd versuchte ich es noch einmal, und wieder ruhte meine Hand wie auf der Scheibe eines Fensters. Dann hörte ich lautes Pochen und sah um mich, ehe ich begriff, daß es mein eigener Herzschlag war, der mir in den Ohren dröhnte. Mein Herz hatte sich schon gefürchtet, ehe ich es wußte.’“ Erkennbar original noch in alter Rechtschreibung…

Eine Katzengeschichte
…hat die Autorin wohl ihren Roman anfangs selbst betitelt, im Sinne der vorüber gegangenen Mode von Katzenbildnern zeitgenössischer (Sozialer) Medien – doch das wäre gar zu banal! Andererseits stimmig, denn „die Katze“ ist ihre einzige Gefährtin, die sie dauerhaft begleitet, während andere erst später dazu stoßen oder schon wieder von ihr gegangen sind. Sie bleibt auch das einzige Lebewesen ohne Namen, wie sie selbst (mit der Ausnahme zu kurz bleibender)… Zwiegespräche gibt es mit ihr, der Katze, durchaus auch mit Luchs, dem Jagdhund – letztlich: mit ihr selbst.

Selbst-Reflexion
…ist der eine Aspekt dieser Erzählung, die offenbar viel Autobiografisches enthält. Die andere, der Nachwelt etwas zu hinterlassen, so es eine solche überhaupt gibt: Zweieinhalb Jahre sind bereits vergangen, als sie sich entschließt, ihr Erleben niederzuschreiben – aus der Erinnerung, gestützt nur durch (zeitweise)Tagebuch-Notizen… Wie geht jemand mit diesem Alleinsein um, der Einsamkeit? Beziehungen zu den (wenigen) Haustieren entwickeln sich – und enden: Viel Tod passiert schon in dieser kurzen Zeit. Und sie weiß kaum, wie lange das noch andauern kann… Sehr zum Nachdenken anregend! Ein Roman, wie aus der Zeit gefallen – nämlich: zeitlos. Wenn auch mit einigen wenigen Bezügen und naturgemäß (1950 spielend?!) frei von „modernen Errungenschaften“ wie Mobilfunk und Internet, könnte dies auch heutzutage spielen. Oder gar eine Metapher sein, eine Allegorie: Rückzug, Selbstbesinnung, Introspektion… Gerade in Zeiten wie diesen (Mitte Mai 2020, Quarantäne-Situationen…). Eine gelungene (Wieder-)Entdeckung, dem Verlag sei´s gedankt – siehe auch das Nachwort S. 277ff.! Dort auch mehr von der Autorin …HPR www.dialogprofi.de www.gabal.de

Hanspeter Reiter