Skip to main content

Die unheimliche Beschleunigung des Wissens

Autor Walter Hehl
Verlag vdf
ISBN 978-3-7281-3455-4

„Warum wir nichts verstehen und trotzdem Großes schaffen“ untertitelt dieser starke Band, dessen Anspruch auf der U4 konkretisiert ist: „Der moderne Mensch ist umgeben von Systemen, die immer komplexer werden und Entwicklungen, die sich immer rasanter vollziehen. Im Kollektiv erfolgreich und zu immer Größerem bereit, bleibt er als Individuum oft ratlos … Das Buch zeigt, wie weit wir einst ohne Hightech die Welt erkunden konnten und stellt dieser „naiven“ Welt die Dimensionen und Folgen der Entwicklungen der Naturwissenschaft und Technik gegenüber … Darüber hinaus zeigt es, wie schwer es uns fällt, Unsinn und Realität zu unterscheiden …, … definiert als Maß eine wissenschaftliche Härteskala …“. So nimmt der Autor den Leser mit auf eine Reise, die in der Antike beginnt und in der Gegenwart kaum endet, mit dem Übergang aus den Betrachtungen des späten Mittelalters hinein in die Neuzeit mit Kopernikus, Kepler und Galilei. Ans Eingemachte geht es dann in diesen Schritten: Das klassische Weltbild der Biologie (inkl. Darwin natürlich) – Sigmund Freud et.al. und die Ahnung des Unbewussten – Der Zeitgeist der Vormoderne im 19. Jh.: An der Grenze der Naivität zum Übermenschlichen. Und die Gegenwart? Ab Seite 115 findet Leser einerseits vielerlei Bekanntes aus Schule und – vielleicht – Studium, doch in der Vielfalt der betrachteten „Fächer“ viel Neues, unter der Überschrift „Un- und übermenschlich: Wo wir heute stehen“. Dies besser zu verstehen, auch Diskrepanzen und Unwägbarkeiten, dafür ist die Herleitung der Wissenschafts-Geschichte sehr hilfreich. Das zeigt sich in den Rekurrenzen des dritten Kapitels „Sicherheit und Unsicherheit – und wie sie (vielleicht) zu unterscheiden sind“ (S. 181ff.), darin: Unser Hang zum Falschen – Beispiele von Pseudolehren und Lehren daraus – Psychologie, die verführt – Irrtümer in der Wissenschaft – Hilfen und Fallstricke auf dem Weg, mündend in einen „Vorschlag einer Härteskala für (Pseudo-)Wissenschaft: Die „Scientific Hardness“ (S. 237ff.), interessante Idee. Doch noch geht´s weiter: Sicherheit und Unsicherheit in der Medizin – Futurologie: Wissen über die Zukunft, dort inkl. den „Schwarzen Schwänen“. Immer im Fokus ist der Mensch, das anthropische Prinzip, dessen Verinnerlichung im Verlauf der Wissenschafts-Geschichte zu immer neuen „Kränkungen“ führte. Wenn sich die (katholische) Kirche aus jahrhundertelang gegen die (scheinbare) Entthronung eines Gottes gewehrt hat, ging es in Wirklichkeit um die Entthronung des Menschen: Nicht mehr Mensch und Erde stehen im Mittelpunkt, vielmehr sind wir weniger als ein Sandkorn in einem überwältigenden Universum – mit vielleicht vielen Tausenden oder gar Millionen anderen bewohnten Planeten. Und wie sehr verlieren wir unsere „Singularität“ etwa durch Computer-Chips und Roboter, die vielleicht gar bald Kreativität entwickeln? Fokussiert schließlich in den beiden abschließenden Kapiteln, nämlich: „Desillusioniert, und nun? Wie geht es weiter“ (S. 335ff., auch mit Themen wie „Freier Wille“ und „Unsere Identität“ sowie „Intelligentes Design anstelle von Evolution ist sinnlos“) und „Schlussgedanken und das Wichtigste (Executive Summary“, S. 385ff.). Darin auch Botschaften wie „Emergenz und Zufall als wichtigste (neue) Begriffe“ und „Mühsame Neupositionierung nach der Desillusionierung“. Der Autor liefert einen Rundumschlag, mithilfe dessen Leser jeweils das große Ganze einer Epoche aufnehmen kann – und detailreich in die Breite und Tiefe gehen, wenn er denn will. Erschienen in einem universitären Wissenschaftsverlag, ist der Band „dennoch“ für interessierte Laien gut verständlich. Das ist sicherlich auch der Fülle an Abbildungen geschuldet, seien es illustrierende „Zitate“ aus vielen Epochen, seien es erklärende Grafiken und zusammen fassende Tabellen, etwa auch die „Beinahe-Must-Know“-Ausdrücke als tabellarisches Glossar im Anhang. Nebenbei mit einer allzu treffenden Cover-Abbildung aus dem „Punch“ 1882 „Man is but a worm“ zur Stellung des Menschen in der Evolution … „Must read“, um vielerlei Diskussionen der heutigen Zeit besser zu verstehen, auch in den Medien.

Hanspeter Reiter