Die Tore der Welt
Autor | Ken Follett |
Verlag | sonstige |
Seiten | 1120 Seiten |
ISBN | 978-3-7857-2316-6 |
Preis | 24,95 EUR |
Bestens geeignet für mehrtägige Einsätze zur Entspannung, allerdings weniger als Bettlektüre: Fast 1.300 Seiten in der deutschen Übersetzung sind gut lesbar, weil ½ Jahrhundert beleuchtet werden. Schauplatz sind das spätmittelalterliche England mit Ausflügen nach Italien und Frankreich, verbunden durch kriegerische Auseinandersetzungen, Architektur und – die Pest… Doch geht der Lese-Gewinn dieses „Follett-Schinkens“ deutlich über das Belletristische hinaus: Wer Interesse an Geschichtlichem wie Kunstgeschichtlichem hat, wird unterhaltsam durch Themen wie Verhältnis Kirche-Staat, Untertanen-Adelshierarchie, Sakral- und Alltagsbauten, Medizin und Sexualität geleitet – das zweite „Pro“ der Fortsetzung von „Die Säulen der Erde“, das zwei Jahrhunderte früher spielte. Für Trainer, Berater und Personaler sicher am interessantesten der dritte Aspekt, der mich motiviert hat, diesen Titel für GABAListen zu rezensieren: Intensive Dialoge führen in Denken und Handeln von Einwohnern Westeuropas im 14. Jahrhundert ein. Dies sind Gesprächsführungen und Lösungsvorgehen die häufig wiederkehren:
- Verhandlung
- Konfliktbewältigung
- Kommunikation Generationen wie Stände übergreifend
… konkret als Verkauf/Kauf, Gerichtsentscheide, Wahlen kirchlicher wie weltlicher Häupter, Gender-Kommunikation…
Ein Teilzitat als Beispiel mag genügen:
Gwenda, eine der Hauptpersonen, erreicht durch geschicktes Verhandeln als Teilziel, dass die Entscheidung in einem Erbschaftsfall verschoben wird – und somit das Hauptziel erhalten bleibt: Dass ihr künftiger Ehemann Wulfric als potenzieller Erbe im Spiel bleibt. Dazu geht sie in mehreren Schritten vor wie folgt:
- Sie erwähnt nebenbei diese Möglichkeit bei einem ihr wohl gesonnenen Einwohner des Dorfes, damit auf diese Weise zu starker Einfluss des Lehnsherrn auch in anderen Fällen vermieden werde; ein Appell ans Allgemeinwohl – der dann
- .… in ihrem Sinne einen Geschworenen beeinflusst – was sie selbst nicht tun kann: als Frau hat sie kaum Einfluss geschweige denn Stimmrecht
- pflanzt sie dann Wulfric diese Chance ein, der eigentlich schon hatte aufgeben wollen – er kann den „Hauptfall“ nicht aufbringen, eine Art Erbschaftssteuer, und droht deshalb gegenüber einem finanziell potenten Bauern zu verlieren
- argumentiert dieser im gewollten Sinn – und übertrumpft damit den bestechlichen Vogt, der als Richter vom Entscheid der Geworenen abhängig ist.
„David Johns meldete sich zu Wort. „Das Land eines Mannes sollte an seinen Sohn übergehen“, rief er. „Wir wollen bei unserem neuen Herrn… nicht den Eindruck erwecken, er könnte sich aussuchen, wer erben darf und wer nicht!“ Zustimmendes Raunen ging durch die Menge. Wulfric trat vor. „Ich weiß, dass du heute keine endgültige Entscheidung treffen kannst, Nate. Deshalb will ich warten, bis ein neuer Lehnsherr ernannt ist. Ich bitte nur darum, dass man mir gestattet, weiter das Land zu bestellen. Ich werde alles tun, um die Ernte einzubringen. Sollte ich scheitern, verlierst du nichts. Sollte ich Erfolg haben, stehst du bei mir nicht im Wort…“ Auf dem Gesicht des Vogts spiegelte sich Besorgnis. Er sah seine Felle davonschwimmen… „Also gut“, sagte er und spielte den Gnädigen…“. (Seite 282/283)
Weitere willkürlich ausgewählte interessante und des Zitierens werte Passagen finden sich zum Beispiel auf den Seiten 330ff., 564ff., 952f. – hier etwa zum Thema „situativ führen: hier direktiv“. Dass schließlich das Thema „Interkulturelles“ vielschichtig aufleuchtet, sei ergänzend erwähnt: Kirche-Adel-Abhängige genauso wie Insel-Festland… Ein vierter Aspekt als Lese-Anregung: Organisiert Innovationen entwickeln – mittelalterliche Kreativitäts-Strategien sozusagen. Beobachten, skizzieren, im Kleinen testen – im Großen anwenden, dafür steht zum Beispiel der Modernisierer Merthin als Baumeister. –
Natürlich wird dieses Buch „demnächst“ auch als Buchclub-Ausgabe und als Taschenbuch verfügbar sein; wer sein Englisch updaten möchte, kann selbstverständlich zum Original greifen (World without End). Meine Empfehlung ist: Jetzt rangehen – wer zuerst etwas aus den interessanten „Fall-Beispielen“ macht, hat in Seminaren, Workshops und Coachings die Nase vorn… – Wer übrigens bezogen auf den „reinen Lesegenuss“ vor knapp 1.300 Seiten eher Schau verspürt, weil das Erinnern über einen längeren Zeitraum hinweg erfordert, dem helfe dieser Hinweis: Follett versteht es exzellent, verwirrende Nebenstränge bestens zu erhalten. Führt er nämlich Personen und deren Umfeld nach längerem Zwischenspiel ins Geschehen zurück (etwa den Baumeister Merthin Bridger), fasst er in einigen Sätzen Erinnerungen an Vorheriges zusammen – und schon ist Leser voll im Bild…