Die Strudlhofstiege
Autor | Heimito von Doderer |
Verlag | C.H. Beck |
ISBN | 978-3-406-65555-5 |
… „oder Melzer und die Tiefe der Jahre“, so dieser eigentlich in die Jahre gekommene Schmöker aus den Zeiten rund um den 1. Weltkrieg. Spielt nämlich einerseits 1911, andererseits 1923-1925. Erstmals 1951 erschienen, von C.H. Beck ab 1995 (zum 100. Geburtstag des Autors) dann in der Gesamtausgabe, liegt der Titel nun als „Jubiläumsausgabe 2013“ bereits deutlich über 70.000 Auflage – ein heimlicher Bestseller? Erschienen zu einem anderen „Jubiläum“ als einem des Autors (1896-1966) – vielmehr zur 100. Wiederkehr des Beginns des ersten Weltkriegs: Der spielt durchaus seine wichtige Rolle in der „Strudlhofstiege“, wenn auch mehr in Rückblicken. Der Autor, offenbar Nazi-Gläubiger, verarbeitet durchaus seine Vergangenheit in diesem Buch, das eine eher kritische Einstellung zum Nationalsozialismus spiegelt, in der Darstellung seiner Figuren. Zentral Melzer, dessen Vorname erst zum Schluss „geoutet“ wird, ein (Amtsrat und Ex-)KuK-Offizier. Hin- und hergerissen zwischen den Sphären der großbürgerlichen höheren Gesellschaft (siehe die Stangelers) und der kleinbürgerlichen, zu der er sich letztlich „bekennt“. Mancher Rezensent bringt Homo Faber ins Spiel, auf einer anderen (weniger Business-orientierten) Ebene könnte Leser Lust bekommen, Robert Musil heran zu ziehen, mit seinem „Mann ohne Eigenschaften“. Jedenfalls ist dieses 900-Seiten-Opus ein wunderbarer Spiegel der österreichischen Gesellschaft(en) jener Zeit(en) und beleuchtet in vielerlei Dialogen Politik, Kunst und Wirtschaft – und vor allem: das Militär. Dies u.a. fokussiert das Nachwort, immerhin von der Leser-zeitgenössischen literarischen Größe Daniel Kehlmann, betitelt „Die kostbare Erbschaft der Leere – Heimito von Doderers antihistorische Romankunst“ (S. 935ff.). So gewinnt LeserIn zusätzliche Hintergrund-Infos, das mancherlei Geschehen besser verstehen macht. Ist dies eine Empfehlung, das Nachwort vorab zu lesen? Niente, da würde denn doch zu viel verraten, was den einen oder anderen erzählerischen Winkelzug zunichte machen könnte – schade ums Lese-Erlebnis! Das mich persönlich übrigens auch an die eine oder andere Abenteuer-Story eines Karl May erinnert hat, durchaus im positiven Sinne: Er hat es ja ausgangs des 19. Jahrhunderts blendend verstanden, die Leser seiner (zunächst als solche konzipierten) Kolportage-Romane in den Bann zu ziehen, durch spannende Verquickungen von Erzählsträngen … Ergänzt wird der Band zudem durch einen topographischen Anhang, anhand dessen Leser rund ein Jahrhundert nach den geschilderten Geschehnissen sich das Wien der damaligen Zeit konkreter zu erschließen vermag, inkl. der „berühmten“ Strudholfstiege, der der Autor sozusagen ein Denkmal setzt. Vielleicht eine Anregung, anlässlich des nächsten Wien-Besuchs auch mal eben diese „Stiege“ zu verorten? – Historisch interessante Lektüre, sprachlich auf hohem Niveau, mit einem beinahe ausufernden Personal, „dennoch“ gut lesbar! HPR