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Die kleine Stadt

Autor Heinrich Mann
Verlag Input
ISBN 978-3-941905-35-1

„Perlen der Literatur: Europäische wiederveröffentlichte Titel des 19. oder 20. Jahrhunderts“ ist der Reihen-Titel dieses überarbeiteten Textes, typografisch wie buchbinderisch etwas Besonderes: Jeder Band hat seine eigene Typografie, dazu kommen kalligrafische Einsprengsel. Und ich gestehe, dieses Werk nun tatsächlich erstmals gelesen zu haben, überhaupt wahrgenommen, nur mal „Professor Unrat“ gelesen, wenn ich´s recht erinnere… Hier nun also ein durchaus anderer Roman, auf knapp 350 Seiten, all in, nämlich: Mit Vorwort, mit Vorstellen der Reihe (mit bis dato 13 Bänden, 2022 folgen wieder acht weitere) – und mit dem bibliophilen Rückblick auf ein Original (S. 346ff., feine Idee, siehe auch interessante Verweise auf das damalige Buchbinderische!).

Das persönliche Umfeld beschrieben
Satire, Komödie, Tragödie? Das Genre dieses Romans erscheint mir schwer einzuordnen… Doch eben mal die kurz gefasste Interpretation: „Brodelnde Gerüchteküche und Intrige erwartet die Komödianten in der kleinen italienischen Stadt. Diese mischen die Stadtbewohner auf, es kommt zu einem dramatischen Finale in diesem Roman von 1909. Raffiniert spielt der Autor mit Andeutungen und der Figurenschar, um die Spannung bis zum Schluss zu bewahren. Heinrich ist der ältere Bruder von Thomas Mann. Bekannt wurde er durch seine Romane „Der Untertan“ sowie „Professor Unrat“ (verfilmt als „Der blaue Engel“ mit Marlene Dietrich). Eine Wanderoper gastiert in einer kleinen italienischen Stadt und sorgt für Turbulenzen bei den Bewohnern. Don Taddeo, ein Priester, entdeckt die sinnliche Begierde für sich. Der Advokat Belotti und der intrigante Savezzo verstricken sich in einen Machtkampf. „Die kleine Stadt“ brummt vor Gefühlen, Intrigen und Gerüchten. Nach seiner Niederlage gegen den in seiner Macht erstarkten Advokaten wird Savezzo zum Handlanger degradiert. Er verlässt – wie die Komödianten – die kleine Stadt. Und es kommt zum dramatischen Finale zwischen Alba, der Enkelin eines Gutsbesitzers, und ihrem geliebten Tenor Nello.“ Doch ist das wirklich alles? Vielerlei Musik-Historisches (resp. –Generisches) hat seinen Auftritt, bis (Spoiler-Warnung!) gar jener von Romeo und Julia im raschen Finale… Alles in allem ist Theater geboten, auf mehreren Ebenen ineinander verwoben: Das aufgeführte Theaterstück, ein weiteres im (erzählten) realen Leben (und da wieder quasi gedoppelt: die Theaterleute, die Stadt-Bewohner) – und schließlich eins des Autors?!

Wettstreit mit dem Bruder
Tja, denn ein wenig spiegelt das Werk auch die persönliche Situation, der (indirekte?) Wettstreit mit dem „großen Bruder“, in mehrfachem Verständnis: Jener hatte sich entschieden, sich dem eigenen Umfeld zu widmen, zu wenig Freude der Lübecker Mitbürger, die sich arg porträtiert vorkamen (resp. ihre Vorfahren). Heinrich dagegen porträtierte jene Kleinstadt, in der sich die beiden gemeinsam zum Schreiben aufhielten – etwa in die Fußstapfen Goethes auf seiner italienischen Reise zu treten?! Stand er schon damals im Schatten von Thomas, dem späteren Literatur-Nobelpreisträger, ähnlich wie die Tenöre in „Die kleine Stadt“ – oder Kapellmeister vs. Dirigent? Gab es denn Liebes-Werben in Konkurrenz? Den einen oder anderen (interpretatorischen) Aufschluss dazu verschafft Lesern das Vorwort, anders mag man sich denken…HPR www.dialogprofi.de www.gabal.de

Hanspeter Reiter