Die größte Erfindung der Menschheit
Autor | Daniel Everett |
Verlag | DVA |
ISBN | 978-3-421-04594-2 |
„Was mich meine Jahre am Amazonas über das Wesen der Sprache gelehrt haben“ als Untertitel verweist direkt darauf, dass der Autor als Feldforscher wichtige Erkenntnisse mitgenommen hat, die er nun mit uns teilt. Die Kernbotschaft hat er in sein Vorwort gepackt (S. 11), das deshalb weitest gehend zitiert sei: „Die Menschen des 21. Jh. Entwickeln laufend neue Technologien, die bereits die Grundlagen des Lernens und Lehrens … verändert haben. Der interessanteste Aspekt .. ist .., dass sie alle durch ein einziges Werkzeug ermöglicht werden – die menschliche Sprache … Die Vorstellung, dass Sprache ein Werkzeug sei, besteht schon seit langer Zeit …“ – hier nennt er Leo Wygotski, allerdings: „Aristoteles … hat die Sprache bereits vor mehr als 2300 Jahren in diese Begriffe gefasst. Niemandem ist jedoch so richig gelungen, die Erkenntnisse der modernen Sprachwissenschaft, der Psychologie und der Anthropologie zu verflechten und klar herauszuarbeiten, was es eigentlich heißt, Sprache als Kulturwerkzeug zu begreifen – als Instrument, das die Menschenaffen erschufen, um ihr soziales Bedürfnis nach Sinn und Gemeinschaft zu befriedigen. Dies ist mein ehrgeiziges Vorhaben .. Die Sprache ist .. komplex und erlernt, ein Produkt aus Funktion und Form, das menschliche Kulturen unserer Art entwickelt und vervollkommnet haben.“ Und das in vier großen Kapiteln: Probleme – Lösungen – Anwendungen – Variationen. Hier einige zentrale Thesen und Aussagen: „Es liegen erdrückende Beweise dafür vor, dass Sprache erlernt und nicht von allen normalen Vertretern der Spezies in gleicher Weise biologisch hervorgebracht wird. In jeder Gesellschaft ist jahrelange Erfahrung erforderlich; ein Kind muss unendlich vielen sprachlichen Daten ausgesetzt werden, damit es eine Sprache fließend zu beherrschen lernt. Dies deutet auf Lernprozesse hin, nicht auf genetischen Determinismus.“ (S. 142) Das Besondere der menschlichen Sprache, die sie „von den Kommunikationssystemen der meisten oder sogar aller anderen Arten“ unterscheide, liege (zitiert nach Hockett in Auseinandersetzung mit Chomsky) in der „sogenannten Dualität der Musterbildung“, nämlich von an sich bedeutungslosen Elementen, die erst durch Zusammenfügen unterschiedliche Bedeutungen bilden (S. 190f.). Mit Theorien setzt der Autor sich auseinander, in dem er sie darstellt, diskutiert und ggf. durch höchst pragmatische Bezüge interpretiert und schließlich neu definiert bzw. widerlegt, siehe Konstruktionsgrammatik (S. 256ff.): „Nach diesem Modell beruht ein Großteil der Syntax menschlicher Sprachen nicht auf Regeln, sondern auf sogenannten Kernkonstruktionen die zu verwandten oder ähnlichen Satzkonstruktionen führen.“ Dagegen argumentiert Everett so (S. 259): „Es lassen sich jedoch alternative Erklärungen finden … Anstatt algebraische Methoden für das Kombinieren von Symbolen zu lernen, scheinen sich Kinder vielmehr linguistische Kategorien und Konstruktionen als Muster bedeutungstragen Symbole anzueignen.“ Was höchst relevant sein kann, wenn es darum geht, wie Sprachenlernen vermittelt wird, also: gelehrt! Wozu nun eigentlich Sprache? „Dient sie als Werkzeug zur Kommunikation oder vielmehr zur Reflexion?“ (S. 297ff.) Leser ahnt schon seine Antwort, die er anhand von „Holzwegsätzen“ entwickelt, also Phrasen mit ambiger Bedeutung. Im Sprechen kläre sich das meist durch Intonation, Lesen von Texten ermögliche Interpretation. – In der Folge geht es auch noch um Variationen (und damit sprachliche Varietäten), etwa zu Farben und Zahlen. Eine wahre Fülle von Ansätzen, die zu klaren Aussagen führen. Denen kann Leser folgen, kann das aber auch unterlassen. Exzellent für alle, die mit Sprachen und Kommunikation zu tun haben. Und darüber hinaus für alle, die über das Wesen von Menschen nachdenken mögen … HPR