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Die Googlesierung der Informationssuche

Autor Stark/Dörr/Aufenanger (Hg.)
Verlag deGruyter
ISBN 978-3110338225

Die zehn Aufsätze in diesem akademischen Band widmen sich den Gatekeepern und Intermediären (Suchmaschinen, sozialen Plattformen) rund um das Suchen und Finden von Informationen. Sie betrachten die ideologischen Implikationen von Algorithmen und Sucharchitekturen (insbesondere von Google) und deren inhaltliche Lenkung der Nutzer, die schlussendlich im Verdacht steht, eine spezielle Weltsicht zu vermitteln: die eigene. Zwei Aufsätze widmen sich medienrechtlichen Fragestellungen und Möglichkeiten der Regulierung.

 

Zwar besteht ein Konsens in der Einschätzung der grundsätzlichen, systematisch hergestellten Gefährlichkeit in der Interaktion von Nutzer und Suchmaschinen (mit und ohne Personalisierung von Suchfunktionen). Gleichzeitig weisen mehrere Autoren darauf hin, dass es systematische und bis dato nicht überwindbare Hürden in der wissenschaftlichen Erforschung gibt – und zwar aufgrund des Umstandes, dass den privat betriebenen Suchmaschinenbetreibern erlaubt ist, bestimmte Daten unzugänglich zu halten. Diese Beschränkung wissenschaftlicher Erforschbarkeit ist brisant, behindert bis verunmöglicht die Untersuchung dringender Fragestellungen, die um gesellschaftliche Auswirkungen der Nutzung von Suchmaschinen kreisen, und sollte in Regulierungsbemühungen unbedingt berücksichtigt werden. Denn ohne Zugang zu faktischen Korrelationen und Interaktionen zwischen Nutzer und Search Engines müssen empirische Befunde mit einer systematischen Begrenzung ihrer Aussagekraft zurechtkommen. Und da empirische Befunde unter anderem genutzt werden, um medien-, bildungs-, kultur-, sozialpolitische Entscheidungen zu treffen, erweist sich die Zugangsberechtigung nicht nur als akademisches Desiderat, sondern als gesellschaftspolitische Notwendigkeit.

 

Nur wenige Autoren erliegen der Verführung, neoliberale oder kapitalistische Wirtschaftsform als Ursache für die Lenkung von Massen zu erklären. Einigkeit besteht darin, dass sie diese Steuerung entscheidend ermöglicht, befördert und durch Netzwerkeffekte (die übrigens Jaron Lanier sehr eindringlich in seinem neuen Buch beschreibt, Stichwort „Sirenenserver“) eskaliert. Verwiesen wird auch auf die flankierende Funktion der Nutzer, die – intendiert oder nicht – durch eine verbreitete Nutzungsroutine einen verstärkenden Effekt in die Wechselwirkung installieren. In einigen Aufsätzen belegen die Autoren, dass die meisten Nutzer nur eine Suchmaschine benutzen, meistens Google; nur die erste Seite der gefundenen Links lesen und sich somit rasch zufrieden geben, ohne alternativ zu schauen. Insofern scheint es begründet, davon zu sprechen, dass das, was bei Google zu finden ist, sich mit der (Nutzer-) Wirklichkeit deckt: Google definiert Wirklichkeit. Und auch Wahrheit, da die meisten Nutzer dem Gefundenen Glauben schenken.

 

Die Aufsätze sensibilisieren indes dafür, die Wirklichkeit konstruierenden und Wahrheiten fabrizierenden bzw. beide nahelegenden Suchergebnisse durch die Brille eines ideologischen Bias` zu sehen. Dass dieser notwendig, da von Menschen mit Überzeugungen und Aufträgen geschaffen, bereits in Algorithmen und selbstredend in den vom Suchmaschinenbetreiber definierten Filtern zu finden ist, führen einige Aufsätze nachvollziehbar und sehr informativ vor Augen. Davor schützen kann sich kein Nutzer. Er kann indes dafür sorgen, zumindest nicht nur den Marktbeherrscher (Google und als soziale Plattform etwa Facebook) zu nähren, sondern Alternativen zu wählen.

 

Dazu benötigen Nutzer „Suchmaschinen“- und „Informationskompetenz“, mit der es, wie einige Autoren belegen, nicht eben gut genug bestellt ist, und die anzueignen bereits bei Kindern, die sogenannte kindgerechte Suchmaschinen verwenden, ansetzen und deren Aktualisierung auch das Erwachsenenleben begleiten sollte.

 

Ein höchst informativer Band, der nicht „Food for Thought“ gibt, sondern die eine und andere praktische Handreichung nahelegt. Ihm sind zahlreiche Leser zu wünschen, und unter ihnen besonders Personen, die professionell in der Bildung tätig sind (Kinder, Heranwachsende, Erwachsene), sowie Personen, die an politischen Weichenstellungen beteiligt sind.

Hanspeter Reiter