Die Gedanken sind nicht frei
Autor | Georg Steinmeyer |
Verlag | Lukas Verlag |
ISBN | 978-3-867-32307-9 |
„Coaching: eine Kritik“ ist ein bewusst einseitiges Buch, das einige wenige schwarze Schafe unter den von Coaches verwendeten Vorgehensweisen fokussiert. Und das an frühere Brand-Bücher rund um Weiterbildung erinnert. Den Hinweis auf diesen Titel verdanke ich übrigens Bärbel Schwertfeger, als Journalistin und Bloggerin investigativ unterwegs…
Fragwürdige Methoden in Coaching und Training
…hat der Autor ausgiebig recherchiert und stellt sie faktisch an den Pranger – und zugleich in einen breiteren Rahmen: „Settings, in denen der Klient durch gezielte Fragen und Interventionen eines Coachs lernen soll, Probleme oder Konflikte selbständig zu lösen, um leistungsfähiger zu werden oder eigene Ziele besser erkennen und umsetzen zu können, erleben einen beispiellosen Boom. Dabei nehmen Coachings längst nicht mehr nur die berufliche Situation in den Blick, sondern bieten sich als Hilfe in nahezu jeder Lebenslage an. Die Methoden und deren Risiken sind indes den meisten, die sich darauf einlassen, kaum bekannt.“ Dass offenbar auch fragwürdige Instrumente zum Einsatz kommen, sollte allerdings die Berechtigung des eigentlichen Ansatzes „Hilfe zur Selbsthilfe“ kaum infrage stellen, im Sinne modernen Facilitating oder eines An-die-Hand-Nehmens. Doch mag durchaus legitim sein, sich auf absolut kritisch zu sehendes Vorgehen zu konzentrieren statt derlei in den Gesamt-Rahmen zu stellen. Natürlich ließe sich breiter analysieren, wie häufig tatsächlich dies passiert, im Verhältnis zum Gesamtmarkt:
Dreimal kritisch?
„Der Politikwissenschaftler Georg Steinmeyer hat Websites und Selbstzeugnisse von Coachs ausgewertet, Befragungen durchgeführt, Lehrbücher von Ausbildern studiert und Publikationen von Dachverbänden analysiert. Drei derzeit dominierende Coachingtechniken werden im Detail untersucht: Das Neurolinguistische Programmieren (NLP), die umstrittene »Positive Psychologie« sowie »The Work of Byron Katie«. Das beunruhigende Ergebnis: Coachings erfolgen nach wie vor ohne wissenschaftliche Fundierung. Statt von Methoden sollte man besser von Ideologien sprechen. Dies gilt oft auch für Angebote, die sich als seriöser Flügel der Branche ausweisen. Viele Coachings basieren auf Wertesystemen, die esoterische, demokratiefeindliche, sozialdarwinistische, gewaltverharmlosende oder geschichtsrevisionistische Elemente enthalten. Deshalb ist ihr unhinterfragtes Vordringen in systemrelevante Bereiche wie Bildungseinrichtungen, Behörden, Unternehmen, Gesundheitseinrichtungen, Parteistiftungen, ehrenamtliche Initiativen und Kirchen auch von politischer Relevanz.“ Ein heftiger Rundumschlag, der ausgebildeten Psychologen wie erfahrenen Praxis-Anwendern in keiner Weise gerecht wird! Dennoch ein lesenswertes Buch auch und gerade für die Betroffenen, also Coaches, Trainer – Weiterbildner jeglicher Couleur. Sich selbst zu hinterfragen. Und zu prüfen, ob eigenes Vorgehen im Sinne etwas des Forums Werteorientierung in der Weiterbildung (FWW) ist und seinem Berufskodex. Vom Autor auch nur ein einziges Mal erwähnt (S. 61), mit Fragezeichen bei einer Siegelträgerin, die wohl Mitglied im Verband DVNLP sein soll. Wobei ein Schuh anders herum daraus wird: Steinmeyer hätte die Möglichkeit gehabt, sich mit seiner Kritik ans Forum zu wenden und den Vorgang überprüfen zu lassen …
Menschenbild(er) der seltsamen Art
Berechtigt ist die Kritik des Autors allemal, die er dramaturgisch gelungen in Stufen verschärft: NLP ist aus meiner (persönlichen) Sicht deutlich weniger zu hinterfragen als im Buch dargestellt. Ich selbst wende es dosiert schlicht fürs Schreiben von Texten an, weil (auch) das Adressieren aller Sinne daraus abzuleiten ist (wofür mir ein NLP-Basic-Wochenkurs genügt hat). Doch Achtung: Im Grunde gilt immer, dass Methoden inhärent auch Missbrauch beinhalten. Ergo vermeide, alle(s) über einen Kamm zu scheren! Stärker „beim Autor bin ich“, wenn er via Positiver Psychologie bei „The Work“ landet: „Denn das Ziel all dieser Ideologie“ sei „die Schaffung eines neuen Menschentypus, der sein Denken und seine Sichtweisen nach Maßgabe ökonomischer Verwertbarkeit »programmiert«. Der grundrechtlich geschützte Kern jeder Persönlichkeit aus individuellen Erfahrungen, Erinnerungen, Einstellungen, Charakterzügen, Glaubensvorstellungen, Gedanken und Gefühlen wird zum »Psychologischen Kapital« umgedeutet, von dessen »Flexibilisierung« und »Optimierung« die soziale und gesellschaftliche Teilhabe abhängt. Das aber läuft auf eine Gesellschaft hinaus, in der die Gedanken nicht mehr frei sind: Coachings erweisen sich als Instrument einer Entdemokratisierung des Denkens und eines totalitären Anspruchs des Ökonomischen auf das Menschliche.“ Das wiederum geht mir deutlich zu weit, siehe oben – Abgleiten ins hier erkennbare Ideologische inklusive, was der Autor ja selbst an Anderen kritisiert… Besonders zu achten gilt es aufs Verweben diverser Methoden der genannten Art, die das Durchschauen für Betroffene jedenfalls erschwert. Das Buch belegt, wie wichtig neutrale Zertifizierungen sind, etwa vonseiten des DVWO (Dachverband der Weiterbildungsorganisationen) und des oben genannten FWW. Pflichtlektüre für KollegInnen, die ihren „Job“ ernst nehmen. Trotz des hier selbst mir arg plakativen Buch-Titels, der wohl vom Autor ausgemachte Totalitär-Tendenzen andeuten soll. HPR