Die Bücherschmuggler von Timbuktu
Autor | Charlie English |
Verlag | Atlantik |
ISBN | 978-3-455-0068-7 |
„Von der Suche nach der sagenumwobenen Stadt und der Rettung ihres Schatzes.“ Ein Roman? Eine Reportage? Beides.
Gestern und heute
Der ehemalige Reporter des Guardian erzählt auf zwei Zeitebenen davon, unter welchen Umständen und mit welchen Opfern sehr alte Schriften aus Timbuktu dank Forschungsreisenden aus Frankreich bzw. England entdeckt und vor dem islamistischen Terror von Dschihadisten (2012) durch Archivare und Bibliothekare gerettet – und Timbuktu vom Mythos zu einem realen Ort wurde, insbesondere für Europäer (mit den Ländern Frankreich und Großbritannien als Hauptakteuren); dies durch Erzählung sowie dank Zitaten aus archivierten Berichten und Briefen genährt. Ein kapitelweise ausgiebiger Anmerkungsteil, einschließlich Quellenangaben und Literaturverzeichnis bekunden ausdrücklich die dokumentarische Seite dieses Buches. Die eine Zeitebene liegt im 18. bzw. beginnenden 19. Jahrhundert, die zweite in der Gegenwart (ab 2012). Beide vereint die Thematik, alte Schriften zu sammeln und zu sichern; allerdings unterscheiden sich die Umstände erheblich, und dem erzählerischen Talent des Autors ist es zu verdanken, dass dies durchgehend spannend zu lesen ist.
Timbuktu damals
Dies gilt auch für den Strang der Erzählung in der alten Zeitschiene, in der es – unter anderem – darum geht, wie es dazu kam, dass Afrika und Timbuktu im Besonderen (mit seinen unterschiedlichen Schreibweisen) überhaupt in den Aufmerksamkeitshorizont vor allem Frankreichs und Großbritanniens kam, damals verfeindete Staaten. In diesem Erzählstrang erfährt der Leser von einzelnen Forschungsreisenden, von denen die meisten scheiterten (und die Umstände sind bildhaft und konkret beschrieben), Timbuktu nicht sahen, einer überlebte und von Timbuktu in die Heimat zurückkehrte. Die Berichte der Forschungsreisenden, deren teils durch Zitate, teils durch Beschreibung geschildert werden, speisen – soweit möglich – die verklärende Romantik der Europäer: „Stadt aus Gold“. Zögerlich wurde Timbuktu seines goldenes Kleides beraubt, und ersetzt wurde es erst durch den nüchternen Blick vergleichender Betrachtung eines britischen Historikers (1841, William D. Cooly), niedergelegt in einem bahnbrechenden Werk, das ein Charlie English so bezeichnet: „der erste zuverlässige Bericht zur historischen Geographie Afrikas südlich der Sahara und markierte den Beginn der wissenschaftlichen Westafrikaforschung“ (158).
Timbuktu heute
Mit wohl eher gemischten Gefühlen und gleichbleibender Aufmerksamkeit liest man die Ausführungen zu den Geschehnissen rund um den islamistischen Terror. Beklemmung ob der Gewalttaten, der intellektuellen Schlichtheit von Akteuren, die Macht über (u.a.) Timbuktus Bewohner und Institutionen, einschließlich der Archive und Bibliothek, errangen und ob der Gefahr, der sich die Retter bzw. „Bücherschmuggler von Timbuktu“ aussetzten, um ihren „Schatz“ (Schriften) vor der Vernichtung zu retten. Wem trotz der Einführung, in der der Autor seine Motivation für diese Schrift verwebt mit dem, was die gleichsam dokumentarische Erzählung dem Leser eröffnet, zunächst einen Überblick erhalten möchte, lese den Epilog ausnahmsweise vorher. – Ein aus verschiedensten Gründen äußerst lesenswertes Buch: Stil, Dramaturgie, Erzählarchitektur, elaborierte Sprache und: Inhalte, die Fakten ebenso informativ darstellen wie die Schilderung von Lebensumständen.