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Der Fall Brooklyn

Autor Jonathan Lethem
Verlag Tropen
ISBN 978-3-608-50244-2

„Jonathan Lethem, einer der großen Erzähler Amerikas und selbst ein Kind Brooklyns, hat diesem Viertel eine grenzenlose Liebeserklärung geschrieben: witzig, vielschichtig und unfassbar berührend“ auf 450 Seiten. Ein starker Einblick in ein New Yorker Viertel durch Raum und Zeit – und völlig anders als etwa das eher mystisch-mythische „Die Wächterinnen von New York“ oder „Im Rausch der Freiheit“ von ‚Edward Rutherfurd (dort mit vielerlei Erlebbarem aus der frühen Vergangenheit, auch zu damals „Breukelen“ zuzeiten der Niederländer)..

Ist das ein Thriller?
Mitnichten! Zwar scheint der Original-Titel deutlicher als jener der deutschen Übersetzung darauf zu verweisen („Brooklyn Crime Novel“), doch der Autor selbst äußert Augen zwinkernd im Buch, dass die „Darstellung der Verbrechen…nur ein Hilfswerkzeug, eine Sprachmaschine“ war (S. 443 – und siehe vorher S. 410f. Verbrechens-Statistiken). Denn „die Dean Street in Brooklyn ist mehr als eine Straße. Hier werden Träume wie harte Währung gehandelt“ und manch harte Währung wird zerteilt, was die Leserschaft durch einige Kapitel (wieder kehrend begleitet  …), “treffen reiche Kids auf Jungs aus der Hood und große Verbrechen auf kleine Gaunereien. Mit meisterhafter literarischer Finesse erzählt Jonathan Lethem die wechselvolle Geschichte von einer der hippsten Straßen New Yorks. Ein Blick hinter die Kulissen einer Stadt und einer Zeit, in der vieles immer stärker zur bloßen Fassade gerät. Die Dean Street gleicht einer Bühne“, mit uns Lesern als Zuschauer also?! Um etwa das Verhalten unterschiedlicher Einwohner-Gruppen zu beobachten, Mädchen unterwegs und wie sich vor Straßenräubern schützen (S. 59).

Brooklyn als Bühnenstück?
Jedenfalls liefert uns der Autor vielerlei Auftritte unterschiedlichster Protagonisten – und das in Akten, miteinander verwoben und ineinander verschoben: So gesehen ist das auch a bissal à la „New York – New York“ mit Liza Minelli im Film „Cabaret“ aus dem Jahr 1972, zeitlich bestens in die hier genannten Zeiträume passend (1978 und vorher/nachher)… Nun also: „Täglich wird hier ein Tanz aus Macht, Geld und Gewalt aufgeführt. Wem gehört das Pflaster? Wer zahlt den Preis fürs Überleben? Einmal wird ein Kind am Eisstand Zeuge einer Schießerei, ein anderes Mal wird ein paar Blocks weiter ein anderes Kind dabei erwischt, wie es im Kiosk ein Erwachsenenmagazin mitgehen lässt. Rivalisierende Gangs streiten sich über das Recht, wer in der Straße Hockey spielen darf, um die Ecke wirft jemand versehentlich einen Baseball in die Windschutzscheibe eines Autos. Doch hinter all diesen Ereignissen lauern immer andere Strippenzieher: Eltern, Polizisten, Vermieter und diejenigen, die in der Stadt die Schlagzeilen und Gesetze schreiben. Sie alle prägen dieses Viertel, seine Geschichte und seine Gegenwart.“ Und auch andere Autoren, wenn auch indirekt – so wird z.B. das MAD-Magazin quasi Genre- und Medium-übergreifend sowie mehrfach Vonnegut adressiert, als Lieblings-Autoren mancher Protagonisten, damit auch des Autors?! Apropos Autor, er lässt sich selbst mittendrin zu Wort kommen, etwa zum Thema „Leerzeilen“ (S. 296f.)…

Was alles macht Brooklyn aus?
Nun, manch Straßenname mag Hinweise geben, etwa auf die Ureinwohner, etwa die Red Hook Lane (S. 58f.) und andere. Und wie war das mit den Holländern als frühen Kolonisatoren, siehe Boerum Hill (S. 120ff. usw.). Welche Rolle spielten Quäker (und Gefängnis, S. 174f.)? Fein das Motiv von Antiquariaten als Lokation wie auch als Job-Booster, das sich durchs komplette Buch zieht (S. 149f. usw., S. 336ff.). 1978 gab´s noch Brettspiele, die ähnlich süchtig machen konnten wie heutzutage Computerspiele (S. 74ff. z.B.). Damals war auch CB-Funk in (S. 268f.), was mich daran erinnert hat: Auch mein Bruder war mal einer, etwa zu jener Zeit  … Schließlich zum Thema Selbst- und Fremdbild und wie wahr sind Erinnerungen (S. 370 und drum herum)… Voila: Sobald Leser sich an diese (durchaus moderne!) Häppchen-Texte gewöhnt, sich eingelesen hat, ist das eine unterhaltsame Lektüre, zugleich informativ und anregend, nachdenklich machend. HPR www.dialogprofi.de www.gabal.de

Hanspeter Reiter