Skip to main content

Dein ist das Reich

Autor Katharina Döbler
Verlag Claassen
ISBN 978-3-546-10009-0

„Eine Zeit voller Wunder und Elend“ ist hier vor dem Leser ausgebreitet, auf bald 500 Seiten…

Kolonialreich adé
Darauf zielt auch gleich der Titel, im (mindestens) doppelten Sinne, geht es doch „auch“ um Missionare – und damit um das Verbreiten des Gottes-Reichs. Hier im „damals“ eng verwoben mit dem „Dritten Reich“: Manches Familien-Mitglied lässt sich mitreißen von der braunen Flut, wie die Erzählerin nach und nach heraus bekommt: „Ein ungewöhnlicher Familienroman über ein verschwiegenes Kapitel deutscher Geschichte: die Beziehung zwischen christlichem Sendungsbewusstsein, Kolonialismus und Rassismus… Die Familienerzählungen, die vom ländlichen Bayern an die Südsee führten, waren so behaftet mit Unglück und Nostalgie, dass sie, die Nachgeborene, sie stets von sich wies. Zumal die Großeltern auf der falschen Seite standen: Sie waren Kolonialisten, und zwar überzeugte.“ Das bis in die (nahe) Jetztzeit, soweit sie sie erlebt haben. „Illustriert“ ist die kapitelweise wechselnde Erinnerungs-Perspektive diverser Großeltern durch eingeschobene Beschriebe von alten Fotos, auf die Bezug genommen ist.

Ein wenig Nazitum
… gönnt man sich auch bei den Papuas, ist man doch gewöhnt, diese als Untermenschen wahrzunehmen und zu behandeln. Was allerdings schlecht kommt, weil schließlich im Nachklang zum Ersten Weltkrieg die deutschen Kolonien abhanden gekommen sind und nun „die Holländer“ das Sagen haben, neben den Australiern. Vier große Teile sind geboten, teils eng aneinander anschließend, teils mit Sprüngen: 1913-14 (Aufbruch), 1922-23 (Ankunft), 1924-30 (Träume), 1933-46 (Abschiede), plus (neben Prolog auch) Epilog 1948. Menschliche Sehnsüchte im Widerstreit mit familiären wie kirchlichen Vorgaben erlebt Leser mit: „Doch jetzt will die Enkelin mehr wissen, sichtet die Spuren, die der Kolonialismus und zwei Kriege in ihrer Familie hinterlassen haben. Immer deutlicher entrollt sich vor ihr die exotische Welt Neuguineas, in die ihr Großvater Johann als abenteuerlustiger Missionar auszog, um die Heiden im „Kaiser-Wilhelmsland“ zu bekehren. Eine vermeintliche Südsee-Idylle, geprägt von Bigotterie und Chauvinismus, in der sich die Wege vierer eigensinniger Menschen – ihrer Großeltern – schicksalhaft kreuzen. Klug und mit feinem Humor zeichnet die Erzählerin des Romans nach, wie die große Weltgeschichte über das kleine Leben der Familie hinwegfegt.“ Fast 500 Seiten umfassen diese Erinnerungen, fiktiv in Romanform und doch auf vielerlei Fakten beruhend, wie die Autorin in Ihrer Danksagung anklingen lässt (S. 478). Ein teilweise anrührendes Opus, immer mitnehmend und häufig nachdenklich machend: So kommt das seinerzeitige Leben heutigen Generationen näher! HPR www.dialogprofi.de www.gabal.de

Hanspeter Reiter