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Cyberkrank

Autor Manfred Spitzer
Verlag Droemer
ISBN 978-3-426-27608-2

In den letzten Monaten erschienen in diversen Verlagen Bücher, denen große Besorgnis gemeinsam ist: die Besorgnis über das, was ein durch digitale Medien beherrschtes Leben für die seelische und körperliche Gesundheit sowie für die Leistungsfähigkeit bedeutet. Es geht also um Folgen des Mediengebrauchts.

Dieses Anliegen teilt auch Manfred Spitzer – einer breiteren Öffentlichkeit weniger durch seine Fachbücher als über das Buch „Digitale Demenz“ bekannt. In „Cyberkrank“ legt der Leiter der Psychiatrischen Universitätsklinik in Ulm und des Transferzentrums für Neurowissenschaften und Lernen nach.

Wie in „Digitale Demenz“ belegt er seine Besorgnis mehr im Hintergrund lernpsychologisch-fachlich dar (lesenswert bis heute dafür sein Buch „Lernen“ sowie die Kapitel 5 bis 10 im rezensierten Buch) und lässt empirische Alltagsbeobachtung und eine beachtliche Zahl von Fachstudien sprechen, die die empirische Begründung für die Dringlichkeit seines auch hier lauten Rufes nach Korrektur in Bezug auf digital-mediale Sozialisation in Schule und Elternhaus liefern.

Nach Betrachtungen über gegenwärtige zivilisatorische Krankmacher (digitale Geräte und deren Nutzung, bildungspolitische Grundsatzentscheidungen und Verhalten von Bezugspersonen für Kinder und Jugendliche) verdeutlicht Manfred Spitzer empirisch-argumentativ ebenso wie appellativ, warum es für die individuelle und die demokratisch verfasste Gesellschaft dringend nötig ist, Mediensozialisation und –nutzung kritisch zu überprüfen und Wege zu dafür zu finden, die pathogenen Aspekte abzuschwächen oder zu tilgen. Mut machen Beispiele, die zeigen, wie Jugendliche einen zeitweisen Verzicht insbesondere auf das sie stets begleitende Smartphone erleben.

Der Autor bleibt seiner bisherigen äußerst kritischen Linie treu. Und auch wenn es Passagen (Studienbewertung, Argumente, Appelle) gibt, die umgehend zu Widerspruch, Skepsis oder mindestens zu differenzierender Argumentation reizen, weil sie einen schrillen alarmistischen Unterton oder eine Übersimplifizierung von Sachverhalten mit sich führen: Das Schrille kann der Autor begründen, sowohl fachlich als auch mit Blick auf (aus unterschiedlichen Gründen) nötige Korrekturen im Rahmen von Bildungsvorzeichen in den Ministerien, davon abgeleiteten Plänen und Curricula, einschließlich didaktischer Vorstellungen. In diesem Kontext spricht der Autor ganz im Sinne von Lerntheoretischen Ansätzen, die sich differenziert-kritisch mit multimedialem Lernen und Lehren befassen (z.B. Cognitive Load Theorie).

Wer verantwortlich und fundiert pädagogisch in Erziehung und Schule bis hin zu Weiterbildung tätig sein möchte, erhält mit der Lektüre dieses Buches einen gefüllten Rucksack mit Hinweisen, die sich gegen den Mainstream auflehnen. Statt immer früher und vermehrt digitale Medien sozialisatorisch einzusetzen, plädiert Manfred Spitzer für einen (neurobiologisch und –psychologisch) begründetes Später und Dosiert.

Hanspeter Reiter, www.dialogprofi.de, Dr. Regina Mahlmann, www.dr-mahlmann.de

Regina Mahlmann