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Clara Schumann: Jugend-Tagebücher

Autor Gerd Nauhaus / Nancy B. Reich (Hg.)
Verlag Olms
ISBN 978-3-487-08621-7

Erstmals liegen die Jugendtagebücher von Clara Schumann vollständig und ausgiebig kommentiert vor. Die Fußnoten nehmen etwa die Hälfte des Werkes ein und bilden gleichsam den zweiten Teil des Buches – und sind in jedem Fall lesenswert. (Zwei Lesebändchen dienen als Erleichterung beim Hin-und Herblättern.) Denn sie kontextuieren, erläutern und vertiefen einzelne Anmerkungen der Tagebuchschreiber. Deren gibt es zwei im Rahmen der als 4 Tagebuchphasen angelegten Darstellung. Das erste beginnt, als Clara Wieck (erst nach der Vermählung mit Robert Schumann im Jahr 1840 wechselt sie den Nachnamen) acht Jahre alt ist, als Tagebuchschreiber ihr Vater und wird es etwa bis zu ihrem 14. Lebensjahr bleiben. Der Wechsel wird dem Leser stets kenntlich gemacht.

Ein Leben für die Musik
Bereits früh hatte ihr Vater aufgrund ihres Talentes beschlossen, sich ihrer Begabung (auch auf Kosten der Geschwister, die er außer Haus gab, was Clara durchaus beklagte) vollständig zu widmen. Friedrich Wieck, Pädagoge, Instrumentenfachmann und Klavierlehrer, engagierte sich vielfältig und durchaus unter zahlreichen Mühen der Künstlerkarriere seiner Tochter. Die Tagebücher weisen ihn einerseits als um Technik (Handwerk) und Seele (gefühlvoll Spielen) bemühten Lehrer aus, der verschiedene Philosophien durchaus diskutiert und die seine erläutert. Andererseits gilt er nicht nur Clara als zuweilen schwieriger, überkritischer und schwer zufrieden zu stellender Mensch und Manager seiner Tochter. Auch die mit der Verliebtheit Claras in Robert Schumann (die Hochzeit wird 1840 in kleinem Kreis begangen) zunehmende Anspannung in der Tochter-Vater-Beziehung wird beleuchtet, neben der Entwicklung der Liebesbeziehung bis zur Hochzeit und danach auch die väterliche Seite und deren Implikationen, seine Scheidung, Wiederverheiratung des Vaters und die Beziehung zur Mutter und den Kindern aus beiden Ehen einbeziehend.

Leben mit der Musik
Trotz der Klagen Claras über ihren Vater zollt sie ihm Dankbarkeit. Ihr ist durchaus bewusst, dass sie seiner Hartnäckigkeit, liebevollen und zugleich Disziplin verlangenden Förderung auf vielen Ebenen die eigene schon früh europaweite Bekanntheit verdankt (mit neun Jahren tritt sie erstmalig öffentlich auf, im Leipziger Gewandhaus). Beide Tagebuchschreiber widmen sich in diesem Kontext sämtlichen Facetten von Konzerten, Reisetätigkeit und damit verknüpfte Bemühungen um Auftritte und Zusammenkünften mit anderen Musikgrößen des 19. Jahrhunderts, mit Aspekten von Willkommen, Instrumentenqualität und der Wahrnehmung anderer Künstler aus der Musikwelt. Clara lernte von ihrem Vater zudem die Wichtigkeit, ja Notwendigkeit von Netzwerken, Verbindungen zu knüpfen und zu pflegen, sowohl schriftlich als auch im persönlichen Kontakt. Die ausgiebigen Passagen geben dem Leser einen außerordentlichen Eindruck in die Subtilitäten gerade schriftlicher Korrespondenz und der Vermittlung von Wünschen (etwa durch Wiecks Bruder).

Kunst & Kultur, Musik & Gesellschaft
Die Tagebücher, stets in Ich-Form verfasst, geben einen differenzierten Einblick, wie Vater und Tochter die zeitgenössische Kunstszene in den verschiedenen Städten Europas wahrnehmen und beurteilen und welchen Schwierigkeiten und Sorgen, auch Belohnungen durch Applaus und Weiterempfehlung sowie durch monetäre Entlohnung, sie zu bewältigen hatten und wie sie dies taten. Die privaten, persönlichen Ambivalenzen und Handlungsweisen sowohl des Vaters als auch der Tochter werden nachvollziehbar und machen eine parteiische Wertung zu Gunsten Claras (wie sie verbreitet ist) durchaus schwierig – und unnötig. Wer die Tagebücher mit dem Streben nach Verstehen und historischer Zeitzeugenschaft liest, wird eine ebenso vergnügliche und informationsreiche Lektüre genießen wie jene, die eher an musikphilosophischen und künstlerisch-praktischen Einblicken interessiert ist. Dr. Regina Mahlmann, www.dr-mahlmann.de, www.gabal.de.

Regina Mahlmann