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Breaking News

Autor Frank Schätzing
Verlag KiWi
ISBN 978-3-4620-4527-7

Nun, wie zu erwarten war, hat sich Schätzing auch dieses Mal einen spektakulären Stoff zu Eigen gemacht: Nun ist´s der Nahe Osten – und nach seiner Analyse des menschlichen Umgehens mit den Meeren und Schwarmintelligenz, danach der möglichen Eroberung des Weltraums, konkret: des Mondes – und konkret im Mittelpunkt Ariel Scharon. Als hätten er und der Verlag darauf gewartet, erschien der Band recht bald nach dessen Ableben aus jahrelangem Koma heraus. Die zentrale Idee deutet sich an, wird jedoch erst recht spät eröffnet – deshalb mag sie verborgen bleiben. Gespannt wird ein weiter Bogen über ein Jahrhundert hinweg, die Geschichte Palästinas zu erschließen: Wie immer, ist die Geschichte rund um die Geschichte exzellent recherchiert, sind die Personen glaubhaft biografiert, sind die ineinander verstrickten Storys bestens choreografiert. Vielerlei Spannungsbögen sichern, dass Leser aufmerksam dabei bleibt, auch dieses Mal auf knapp 1.000 Seiten. Und es bleibt Raum für den Plot, der dem eigentlichen Plot noch folgt … Neu ist der Ansatz des ausschließlichen Rückblicks, nach vorheriger SF-Entwicklung (eben science mit fiction, im klassischen Sinne in die Zukunft schauend). Schicksale stehen musterhaft für jene von Israelis und Palästinensern, für sich wie als Spielball von Nahost-Politik von Weltmächten wie regionalen Staaten. Israelis aus aller Welt, auch aus Arabien ja – und mit manch durchaus versöhnlichem nachbarlichem Zusammenleben. Doch nicht immer muss es um Weltpolitik gehen, es blitzt auch auf, wie Kleinigkeiten persönlicher Chemie (auch der Abstoßung) Schicksale mit bestimmen. Hier ist eine Menge zu lernen für den Leser, der sich auf Historisches einzulassen bereit ist – das sollte auch sein, bei Schätzing, wie vorher zu Wissenschafts-Themen. Doch er schafft es ja wirklich, seine Teil-Vorlesungen spannend zu integrieren. Beispiel gefällig? Siehe S. 624 zu „dissoziativer Störung“ – es geht letztlich um PTBS (Posttraumatisches Belastungssyndrom): „Sekündlich nehmen wir eine Unzahl von Reizen auf, die wir als eine Art Film erleben, homogen und chronologisch. Tatsächlich sind Homogenität und Chronologie eine Illusion. Erst unser Hirn verschmilzt die Teileindrücke zu einem Ganzen. Das macht es hervorragend, aber manchmal passiert etwas Merkwürdiges. Ein Eindruck verweigert sich jeder zeitlichen und inhaltlichen Einordnung. Man nennt das Dissoziation. Was immer Uri erlebt hat, konnte sein Hirn nicht in den laufenden Film einarbeiten, also verblassen diese Szenen auch nicht mit der Zeit.“ Mit dramatischen Folgen für den Sohn der Kahns, in deren Leben er immer wieder entscheidend mit entscheidet: Ariel Scharon … Die Rezensionen zu Breaking News schwanken interessanter Weise zwischen diesen beiden Polen: Der Autor sei zu pro-israelisch. Der Autor sei zu sehr pro-palästinensisch. Hmm. Nun, ich meine, seine Darstellung ist manches Mal drastisch, insgesamt jedoch durchaus ausgewogen. Und bietet Einblicke in Hintergründe etwa zum Libanon, die in offizieller Medienarbeit mal aufblitzen, in der Fiktion jedoch verdammt realistisch nachvollziehbar wirken. Lesen! HPR

Hanspeter Reiter