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Blondes Herz

Autor Bernardine Evaristo
Verlag Tropen
ISBN 978-3-608-50275-6

„Ein scharfsinniger Roman über die Geschichte unserer Gegenwart und die Kraft unserer Träume – von der Autorin des Bestsellers Mädchen, Frau etc.“ als gespiegelte Versklavungs-Historie auf annähernd 300 Seiten.

Neue Gegenwart aus veränderter Vergangenheit
…findet die Leserschaft hier, wenn auch frei von Konsequenzen aus einer Sci-Fi-Zeitreise: Entsprechend spielen Themen wie Klimawandel keinerlei Rolle, alldieweil manch technologische Entwicklung schlicht entfallen ist – was im Grunde klischeehaft rückständige „Aphrikaner“-Verhalten verlängert. Eine Frage der Perspektive, siehe umgewidmete „kraniofaktische Anthropometrie“ eben via Schädel-Vermessung (S. 137ff.)? Wie auch immer, das ist die Geschichte: „Was wäre, wenn der afrikanische Kontinent die Welt erobert hätte und Sklavenhandel mit Europäern betreiben würde? Booker-Preisträgerin und Bestsellerautorin Bernardine Evaristo denkt die Vergangenheit neu: Doris, ein weißes Mädchen aus England, wird nach Aphrika verschleppt und dort als Sklavin verkauft. Doch sie verliert nicht ihren Mut. Sie muss alles riskieren, um die Fesseln ihrer Gefangenschaft abzulegen und ein freies Leben zu führen. Eben noch spielt Doris mit ihren Schwestern Verstecken auf den Feldern hinter ihrem Cottage. Im nächsten Moment wird ihr ein Sack über den Kopf gezogen und sie findet sich im Laderaum eines Sklavenschiffs wieder, das in die Neue Welt segelt. Dort muss sie einem ambossanischen Feudalherrn dienen, der von ihrer Minderwertigkeit überzeugt ist.“ Was ihr mehr als deutlich wird, als sie ihre (klindlicher) Mistress unterrichtet und quasi spiegelt – als eine Art gegängelte analoge Avatar. „Doch Doris kann nicht aufhören, von ihrer Flucht zu träumen. In den folgenden Jahren setzt sie alles daran, ein freier Mensch zu werden. Als ihre Fluchtversuche scheitern, wird sie zur Strafe auf die Zuckerrohrfelder geschickt. In den Plantagen, an der Seite der starken Wikingerin Ye Mémé, entdeckt Doris jedoch eine ungekannte Stärke in sich. Unerwartet findet sie zurück zu ihrem blonden Herz. Und am Ende sogar zu ihrem ungebrochenen Freiheitswillen.“ Der sie allerdings dem Tode nahebringt und so (Spoiler-Warnung!) nach einem vereitelten Fluchtversuch Abstand vor weiteren Versuchen nehmen lässt… Doch Leser wird sehen…

Schwaarz oder waiß?
Das ist hier die Frage, via Kehrtwende und Spiegeln des historischen Geschehens: „Waiße“ werden von „Schwaarzen“ versklavt, im historisch anders herum bekannten großen Stil als Wirtschafts-Faktor ohnegleichen (u.a. S. 37f. – und da bleibt die Frage, warum heutzutage „Schwarze“ besser/neutraler verstanden wird als „Neger“, das verbotene N-Wort?! Schließlich ist „negro“ schlicht die Bezeichnung für „schwarz“ (aus lat. nigrum), oder? Wieder mal ein Hinweis darauf, wie Semantik sich wandeln kann, à la Manipulation (ursprünglich in etwa „an die Hand nehmen“), Namen übrigens inklusive (S. 197f.)…Und hier? Da gibt´s auch ein „W-Wort“, nämlich: Wigger, auch das fein umgedeutet, mögliches Wirken von Sprache verdeutlichend. Diese veränderte Perspektive (auch reiligiös-kirchlich geschickt umrahmt/verbrämt, S. 222 und drumherum) schafft vielerlei Impulse, neu das damalige Geschehen zu reflektieren – und zwar durchaus frei von romantisierendem Erzähl-Rahmen à la „Onkel Toms Hütte“: Trifft hier Fantasy einerseits SciFi, andererseits Rassismus-Kritik via Satire? Leserschaft möge selbst entscheiden und sich diese Lektüre jedenfalls gönnen! HPR www.dialogprofi.de www.gabal.de

Hanspeter Reiter