Antifragilität
Autor | Taleb, Nassim Nicholas |
Verlag | Knaus, München 2012 |
ISBN | 978 3 8135 0489 7 |
Das Buch hat 585 Seiten, zuzüglich Anhang, Register, Literatur, Anmerkungen 685. Sie zu lesen, ist durchaus lehrreich, in Passagen amüsant und hält wach. Denn nicht wenige Behauptungen und Schlussfolgerungen, geistreich, anekdotenreich und reich an literarischen bzw. empirischen Belegen, erregen eine Widerspruchs-, mindestens eine Neigung, die getragen wird von einem lebhaften Wunsch nach Debatte.
Das beginnt bereits beim Schlüsselbegriff: bei der eigenwilligen Absetzung des Antifragilen von Resilienz. Der Erfolgsautor („Schwarzer Schwan“) beharrt darauf, Resilienz meine nach seiner Begrifflichkeit Robustheit, also eine Widerständigkeit, die Veränderungen nicht zulässt und folglich auch nicht das Lernen durch Herausforderungen, Störungen, Bewährungsproben. Mag sein, dass es Disziplinen gibt, die Resilienz auf das Zurückschwingen eines Hauptzustandes begrenzen. In den Sozialwissenschaften oder Humanities gilt dies nicht. Wer sich mit Resilienz in Pädagogik, Psychologie, Neurowissenschaften, auch Biologie und Soziologie etwas befasst hat, begegnet in Nassim N. Talebs Antifragilität einen Bekannten.
Wie dem auch sei: Wer sich an der narzisstischen Tonalität nicht stört, hat einen intellektuell ansprechenden Essay vor sich, dessen Kernbotschaft um die Differenz und den Imperativ kreist, diese Differenz im alltäglichen Leben zu berücksichtigen, sie einzuspeisen, um – „eine Welt, die wir nicht verstehen“ mindestens etwas verständlich zu machen und in jedem Fall so zu verstehen, dass wir in ihr gut leben können.
Der Kerngedanke ist simpel. Die Differenz besteht aus der Triade „Fragil – Robust – Antifragil“. Allein diese (im Buch befindliche) Darstellung suggeriert, worauf der Autor hinaus will: Das Antifragile als zentrale unter anderen Eigenschaften (ein relationaler Begriff) ist die Bedingung der Möglichkeit, in einer Welt von Undurchschaubarkeit, Unberechenbarkeit, Unplanbarkeit zu überleben und gut zu leben. Das Antifragile bezeichnet eine Fertigkeit und Eigenschaft, die meint: Störungen einspeisen in das Eigene, um weniger anfällig zu werden bzw. nicht daran zu zerbrechen. Dieses Einspeisen von Lerneffekten (Goethe nennt es Bildung) stärkt und fördert Antifragilität, die ihrerseits nicht nur die Fertigkeit fördert, mit Störungen immer besser umgehen zu können, sondern gar mit „Chaos“, also nicht erkannter Ordnung oder Unordnung.
Der Autor schildert zahlreiche biographische Stationen, Erlebnisse, Erfahrungen, Situationen und greift auf sämtliche gesellschaftlichen Bereiche aus, um die Vorzüge von Antifragilität gegenüber Fragilität (Zerbrechlichkeit) und Robustheit (Widerständigkeit) zu erläuternm zu verdeutlichen und zu zelebrieren.
Wer „Schwarzer Schwan“ gelesen hat, weiß, was ihn stilistisch und erzählerisch erwartet, einschließlich der Fremdschelte (hier etwa: Wissenschaftler sind gemeinhin borniert und schädlich) und Selbstbeweihräucherung. Insbesondere letztere sollte der Leser mit einem amüsierten Lächeln quittieren und seine Aufmerksamkeit auf die sachlichen Inhalte und Argumente nicht ablenken lassen. Gelingt das, ermöglicht die Lektüre nicht nur manche Einsichten zur Persönlichkeit, Denkmodus und Habitus inbegriffen, des Autors, sondern auch Einsichten in manchen Gedankengang, in manche Interpretation und Argumentation, Bewertung und Konklusion, die interessant genug sind, um mit ihnen durchzuspielen, was es heißen könnte, Antifragilität zur notwendigen Bedingung für Zukunft zu machen.